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Linke ohne Leitfiguren

■ Suche im voll besetzten Frankfurter Hörsaal V nach „linken Leitfiguren“ ohne Erfolg / Über Donald Duck zu Marx

Die Frankfurter Linke gibt nicht auf. Immer wieder verleiht sie ihrer Hoffnung Ausdruck, es möge doch noch einen Diskussionszusammenhang, ein Forum kritischer Selbstreflexion, einen Orientierungspunkt inmitten der postmodern verzögerten Katastrophendynamik geben. So war denn auch am vergangenen Dienstag abend der große Hörsaal V der Universität voll. Thema: „Die Linke und ihre Leitfiguren“. Anlaß: Das Erscheinen eines gleichnamigen Buches. Podiumsteilnehmer: Linke ohne Leitfigur.

Konnte die Autorin Eva Demski das enzyklopädische Werk sowieso „nur als Joke ernstnehmen“, so zeigte sich Joschka Fischer ernsthaft verwirrt: „Warum hat man Ho Tschi Minh aufgenommen, nicht aber Pol Pot ? Warum Rosa Luxemburg und nicht Walter Ulbricht? Wo bleibt Josef Stalin?“ Als dringende Verbesserung für die Zweitausgabe empfahl Fischer die Aufnahme von Donald Ducks „Panzerknacker AG“, die eine geradezu paradigmatische Bedeutung für die Bemühungen der Neuen Linken gehabt habe. Zudem müsse man fragen, warum Friedrich Nietzsche als „linke Leitfigur“ erwähnt werde, Richard Wagner dagegen nicht – wohl aber Klaus Vack in Sensbachtal. Fragen über Fragen, die der ehemalige hessische Umweltminister in dem Ausruf zusammenfaßte: „Mao, Mao – wo bleibt Lin Piao?!“ Der Verfasser des Buches, Edmund Jacoby, hatte nicht recht verstanden, wollte die Anregungen aber „dankbar aufnehmen“. Stalin sei aus „Platzgründen“ weggelassen worden, denn „er hätte die Hälfte des Bandes beansprucht, mehr als alle anderen Leitfiguren zusammen“. Das war das Stichwort für den aufmerksamen Zuhörer, der die erste Abwanderungswelle des Publikums auslöste: Man müsse erst einmal definieren, was eine Leitfigur sei. Allein die Klarheit des Begriffs offenbarte sich nicht. Während für eine Zuhörerin „die Kollegin, die neben mir Streikposten steht“, schon leitend tätig ist, assoziiert die Publizistin Cora Stephan „Lichtgestalten, die Objekte von Identifikationsbedürfnissen sind“. Eva Demski erinnerte an die Bedeutung „des Fremden“ und Micha Brumlik meinte, über Karl Marx brauche man ja nicht mehr reden. Joschka Fischer faßte die „Dialektik der Leitfigur“ zusammen:“Ich weiß auch nicht mehr, wies weitergeht.“ Reinhard Mohr

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