Reagans Erbe: Schuldenberge

Reagans erster Sparhaushalt / RR verdreifachte in seiner achtjährigen Amtszeit die US-Staatsverschuldung um 1.460 auf 2.100 Milliarden Dollar / Rüstungsausgaben waren Wachstumsmotor der Staatsschulden  ■ Von Georgia Tornow

Geordnete Haushaltsführung war noch nie Männersache. Allerdings muß „die Frau von heute“ schon in der Vergangenheit kramen, wenn Lehrsatz und Lebensweise tatsächlich zusammenfallen sollen: „Ausgegeben werden kann nur, was vorher verdient wurde.“ So hieß die Maxime meiner Oma, die mit eiserner Disziplin, diversen Sammeltassen und einem Sparbuch das Familienbudget durch zwei Weltkriege und zwei Währungsreformen managte. Schulden waren einfach unanständig.

Wo das Kreditsystem mit immer neuen Pump- und Vorschieß- Varianten einer der expansivsten Wirtschaftszweige ist (neben den gigantischen Zuwachsraten der Versicherungen), ist die alte Tugend Sparsamkeit ganz klar „out“ und sogar volkswirtschaftlich disfunktional geworden. Heute entscheidet die Höhe der Schulden über die Bonität, und das gilt sowohl für Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher wie auch für Vater Staat. Was Wunder, daß Uncle Sam dabei eine Spitzenposition hält. Vor allem die Aufblähung des Militärhaushalts während des Vietnamkrieges und dann weiter im anschließend immer rasender werdenden Rüstungswettlauf hatten den USA eine Staats verschuldung in Dritt-Welt-Dimensionen eingebracht.

Zum Reizthema wurde das US- Haushaltsdefizit aber erst, als die Regierung Reagan deswegen außen- und innenpolitisch in die Klemme kam. Angesichts eines insbesondere für exportorientierte Volkswirtschaften dramatischen Verfalls des Dollarkurses – und das, obwohl doch erst im Februar 1987 die wichtigsten Industrienationen sich im Louvre-Abkommen auf stützungswerte Bandbreiten für den greenback geeinigt hatten – wurde das amerikanische „Doppeldefizit“ in Handelsbilanz und Haushalt zum Lieblingsvorwurf etwa der Japaner und Bundesdeutschen, wenn es angesichts der Probleme der Weltwirtschaft um die Verschiebung des Schwarzen Peters an die USA ging. Innenpolitisch brisant wurde das Haushaltsloch, weil angesichts seiner Höhe die Anwendung der Gramm-Rudman-Act drohte, einem Gesetz, das automatische Haushaltskürzungen vorschreibt, wenn das Defizit eine vom Kongress für das laufende Haushaltsjahr festgelegte Marke überschreitet. Zum Handeln konnten sich der republikanische Präsident und der mehrheitlich demokratische Kongress erst unter den Eindruck des weltweiten Börsencrashs vom 19.Oktober zusammenraufen.

Im November des letzten Jahres einigten sich Kongress und Weißes Haus in einem sogenannten „Haushalts-Gipfel“ darauf, mit Hilfe von Kürzungen und Steuererhöhungen in den nächsten zwei Jahren 76 Mrd. Dollar einzusparen. Gemäß dem Gramm-Rudman-Gesetz hat der Kongress inzwischen für das Haushaltsjahr 1989 eine Verschuldungsober grenze von 136 Mrd. Dollar festgelegt. Mit beidem war Reagan für die letzte Haushaltsvorlage in seinen zwei Amtszeiten ein klarer Rahmen vorgegeben, der zum Abschied keine besondere Prachtentfaltung erlaubte.

Als der Präsident am Donnerstag der letzten Woche dann im Kongress seinen Entwurf mit einem Ausgabevolumen von 1.094 Mrd. Dollar und einer Neuverschuldung in Höhe von 129,5 Mrd. – er lag damit knapp unter dem erklärten Limit – präsentierte, konnte er sich erst einmal selber loben: „Ich halte meinen Teil der Vereinbarung. Und nun möchte ich, daß der Kongress das gleiche tut.“ Der demokratisch dominierte Kongress ließ sich nicht lumpen. Erstmalig in Reagans sieben Amtsjahren gab es keine erbitterten Wortgefechte All das, obwohl in einem Wahljahr die Vorführung des Präsidenten in der Haushaltsdebatte zum besonders beliebten Ritual der Opposition gehört.

Die geradezu friedliche Stimmung im Kongress ist aber neben dem Wohlverhalten bei der Neuverschuldung auch auf die geschickte Kombination der Einzelmaßnahmen im Budget zurückzuführen. Insbesondere die seit sieben Jahren üblichen erbitterten Debatten zum Militärhaushalt unter dem Motto „guns or butter“ fielen flach. Nicht nur, daß der neue Verteidigungsminister Carlucci einen verbindlicheren Stil pflegte, als sein bärbeißger Vorgänger Weinberger, er hatte auch anderes zu bieten. Entgegen den ursprünglichen Plänen soll das Pentagon 1989 rund 33 Mrd. Dollar weniger bekommen. Das sind zwar immer noch 299,5 Milliarden Dollar – womit sich unter Reagans Administration die Militärausgaben nahezu verdoppelt haben – aber erstmalig liegt damit die Steigerungsrate unter der erwarteten Inflation von 3,8 Prozent. In allen Waffengattungen müßten Truppenteile abgebaut werden, verkündete Carlucci, aber durch Umstrukturierungen, modernere Waffen und qualifiziertere Soldaten werde die Schlagkraft der USA erhalten. Wirklich massive Kürzungen sind im Bereich Landwirtschaft und beim sozialen Wohnungsbau vorgesehen. Um 20 Prozent auf 13,1 Mrd. Dollar gesteigert werden sollen dagegen die Mittel für Forschung und Raumfahrt. Ebenso werden für die Bekämpfung von Aids und für die Aufstockung der Rentenversicherung mehr Mittel veranschlagt – beide Vorhaben werden von den amerikanischen Medien als besonders populär gewertet. Auch für den Bildungsbereich ist eine Steigerung um 7 Prozent veranschlagt, ähnlich sieht es für das Gesundheitswesen aus. Weitere öffentlichkeitswirksame Ausgaben sollen den sauren Regen, Drogen und Verbrechen bekämpfen oder die Luftsicherheit erhöhen. Mit neuerlichen Privatisierungen von Staatsbetrieben, etwa der Eisenbahngesellschaft Amtrack, sollen der Staatskasse runde 10 Milliarden Dollar zufließen. Die jährlichen Zinsen für die Staatsschulden liegen mittlerweile bei 190 Mrd. Dollar und sind zum drittgrößten Etatposten angewachsen.

Angesichts dieser Einzelposten eine geschlossene Oppositionsfront gegen den Entwurf des Präsidenten zustande zu bringen, dürfte den Demokraten im Kongress nicht nur wegen der Vereinbarungen des „Haushalts-Gipfels“ vom letzten November kaum gelingen. 1988 ist auch für Teile des Kongresses ein Wahljahr und da formieren sich die Volksvertreter zur Zeit eher entlang von relevanten Interessen in ihrer Heimatregion – wiedergewählt werden sie schließlich da und nicht in Washington. Damit wird der Haushaltsentwurf des Präsidenten durch den Kongreß wohl keine entscheidenden Veränderungen erfahren. Ob Reagan aber dann aus dem Schneider ist, wird sich erst in neun Monaten zeigen. Im August schlägt für den Haushalt 1989 die Stunde der Wahrheit: Dann wird sich zeigen, ob die gleichzeitig mit dem Haushalt vorgelegten Prognosen über die Wirtschaftsentwicklung in den USA zutreffen, die die Voraussetzung für eine Schuldenbegrenzung auf Reagans 129,5 Milliarden waren. Die Spanne bis zu 136 Mrd. ist klein, die Prognosen des Präsidenten werden schon heute von unabhängigen Instituten und dem überparteilichen Wirtschaftsbüro des Kongresses für zu optimistisch gehalten. Dann wäre die Anwendung des Gramm-Rudman-Gesetzes mit seinen „durch die Bank“-Kürzungen nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Bei meiner Oma war Ultimo ein echter Stichtag. Heutztage kann sich das ganz schön hinziehen.