: Die Heldin verlor den Heiligenschein
Zwei Jahre nach dem Ende der Marcos-Diktatur ist die „Macht des Volkes“ eingeschlafen / Scheinbar unaufhaltsam rücken die Streitkräfte in das Zentrum der Macht vor / Die grundlegenden Probleme des Landes warten weiter auf ihre Lösung ■ Aus Manila Gebhard Körte
Nicht Massendemonstrationen und politische Veranstaltungen, sondern Kultur und Kommerz, religiöse Zeremonien, Feuerwerk und nächtliche Disco-Klänge bestimmten gestern das offizielle Programm am zweiten Jahrestag der sogenannten Februarrevolution von 1986. Einige hunderttausend Hauptstädter pilgerten zur abgesperrten Stadtautobahn zwischen den beiden bedeutendsten Kasernen des Landes, wo eine einmalige Kombination aus Militärrevolte und Volkerhebung den Langzeitdiktator Ferdinand Marcos aus dem Amt gekippt hatte. Entschlossenheit, Hoffnung, Aufbruchstimmung oder Solidarität sind als Motive passe, aber schließlich war Feiertag und wer nichts Besseres vorhatte, konnte mit etwas Glück Cory aus der Nähe sehen, sentimentale Erinnerungen auffrischen oder an unzähligen Imbißständen und Verkaufsbuden Jahrmarktsatmosphäre schnuppern. Der Umsatz an Getränken, gedünsteten Maiskolben, Eis und frittierten Bananen war eine Wohltat für die angeschlagene Ökonomie. Verrechnet hatten sich nur die Händler, die nostalgische T-Shirts mit Aufdrucken wie „Ich stoppte einen Panzer mit bloßen Händen“, Fahnen, Anstecknadeln und Schirmmützen loszuschlagen hofften. Mangelnde Nachfrage ließ bereits am frühen Nachmittag die Preise purzeln.
Fröhliche Gesichter waren seltener als beim Karnevalsumzug in Köln. Der Geist, der vor zwei Jahren Millionen Geschichte machen ieß, hat sich in ein amorphes Gespenst verwandelt. Die breite Koalition von herausragenden Persönlichkeiten und zahlreichen Gruppierungen mit unterschiedlichen Erwartungen und ohne ideologisches Bindeglied ist zersplittert. Von den Führern, anfänglich zu Helden hochstilisiert, blättert der Lack ab. Enrile mußte nach Putschgerüchten als Verteidigungsminsier abdanken und konnte sich bei den Parlamentswahlen gerade noch einen Sitz im Senat sichern, auch seine smarten „Jungs“ von der „Reformbewegung der Streitkräfte“ (ram-boys) haben mit mehreren Versuchen, die Regierung zu stürzen, ihe umfangreiche zivile Fangemeinde vergrault. Viele wurden inhaftiert oder sind untergetaucht.
Selbst die bescheidene, tief religiöse und leidgeprüfte Märtyrerwitwe Corazon Aquino, mit der sich fast das ganze Volk identifizierte und auf die es die Erfüllung seiner Sehnsüchte projizierte, hat ihren Glorienschein eingebüßt. Das genaue Gegenteil von Marcos wollte sie darstellen, doch nach zweijähriger Malaise hat nicht nur die Linke ihr den Rücken gekehrt. Immer mehr Menschen erkennen, daß ihre „Jeanne dArc“ nicht nur unter dem Druck objektiver Bedingungen handelt, sondern die unpopuläre Witschaftspolitik, den harten Kurs im Innern und die bereitwillige Preisgabe nationalistischer Positionen im Interesse der amerikanischen „Freunde“ auch aus Überzeugung betreibt. Wieder füllen sich die Gefängnisse mit politischen Häftlingen, breiten sich Nepotismus, Verwaltungschlendrian und Korruption aus, planieren Bulldozer illegal errichtete Squattersiedlungen, verschwinden Aktivisten spurlos. Den Streitkräften, die scheinbar unaufhaltsam ins Machtzentrum vorrücken, sicherte sie totalen Beistand in der Aufstandsbekämpfung zu, eine Garantie, die angesichts einer tief in der Landbevölkerung verwurzelten Guerilla einem Freibrief für massive Menschenrechtsverletzungen gleichkommt. Gleichzeitig erweisen sich Parlament und Verwaltung als unfähig bzw. nicht gewillt, durch eine radikale Kurskorrektur die grundlegenden Probleme des Landes anzupacken: Auflösung feudaler Strukturen mit Hilfe einer umfassenden Landreform, Aufkündigung des Abkommens über die US-Militärbasen, Aufbau einer eigenen Industrie, um aus der Rolle des billigen Agrar- und Rohstoffexporteurs herauszukommen und die astronomisch hohe Arbeitslosigkeit zu überwinden, akzeptable Autonomieregelungen für die Moslems auf der Südinsel Mindanao und die Kordillerenstämme in Luzon. Doch eine solche Politik hat gegenwärtig keine Realisierungschancen, weil Industrielle und Großgrundbesitzer offensichtlich lieber ihren Kopf als ihre Privilegien verlieren wollen. Die linken Organisationen, die gestern und vorgestern auf zwei Großdemonstrationen die „Beendigung der Tyrannei und Täuschung des US-Aquino- Regimes“ forderten, sind noch zu schwach, um die Regierung ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Peoples Power ist eingeschlafen.
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