Humangenetik: dein Freund und Helfer

Humangenetiker auf public relation-Kurs / Bei einer Anhörung des Bundestages gaben sich die Humangenetiker behindertenfreundlich / Die milden Töne kontrastierten mit den rigiden Methoden  ■ Aus Bonn Oliver Tolmein

Auf der gemeinsamen Tagesordnung des Gesundheits- und des Forschungsausschusses stand das Thema „Pränatale Diagnostik“. Gegeben wurde dann eine mehstündige Vorstellung „Imagepflege der Humangenetiker“. Humangenetik in der BRD 1988 – das hat, will man den Experten, die den Bundestagsmitgliedern am Mittwoch bis in den Abend hinein vortrugen, glauben, mit Bevölkerungspolitik, Eugenetik und Zwangsmaßnahmen aber auch rein gar nichts zu tun.

„Von Außenseitern wie Frau Stockenius umstrittene Hamburger Wissenschaftlerin, d.Red distanzieren wir uns ganz entschieden“, versuchte Professor Murken von der Genetischen Beratungsstelle in München mit warmer Stimme. Und seine Kollegin Schroeder-Kurth vom Institut für Anthropologie und Humangenetik in Heidelberg assistierte ihm eindringlich: Kosten-Nutzen- Rechnungen zu humangenetischen Beratungsstellen, sicher, die gebe es zuhauf, aber Relevanz, nein, die hätten sie alle überhaupt nicht.

Das überzeugte auch den SPD- Linken und Forschungsausschußvorsitzenden Catenhusen voll und ganz: „Nehmen Sie zur Kenntnis, daß derartige Positionen bei den Humangenetikern irrelevante Minderheitenpositionen sind“, fragte er die als Expertin geladene Vertreterin des bundesweiten Forums von Behinderten- und Krüppelinitiativen Swantje Köbsell, die kurz zuvor noch den eugenischen Ansatz der bundesdeutschen Humangenetik kritisiert hatte.

Aber auch die schönste Inszenierung wird irgendwann einmal von der Wirklichkeit gestreift. Professor Hansmann von der Frauenklinik der Uni Bonn störte Mittwoch spätnachmittags das harmonische Bild vom „Humangenetiker – dein Freund und Helfer“. Ganz klar müsse einmal festgestellt werden, daß die pränatale Diagnostik, über deren Sinn und ethischen Gehalt hier diskutiert werde, aus der Medizin gar nicht wegzudenken sei. Und angesichts der Existenz des § 218 dürfe man auch nicht so tun, als solle jede Schwangerschaft nun unbedingt bis zur Geburt weitergeführt werden.

Es gebe, fügte er noch vorsichtig ein, schließlich Embryonen, die von vornherein nicht lebensfähig seien. Sie abzutreiben erspare der Mutter monatelange Gefahren. Später wurde der Bonner Humangenetiker dann offener.

Während seine KollegInnen viel Mühe darauf verwendet hatten, klar zu machen, daß es der Humangenetik vor allem darum gehe, die Akzeptanz für weniger schwere Erbkrankheiten wie zum Beispiel die Chromosomenanomalie „Tripel-X“ zu erhöhen, indem man die Eltern auf die Geburt so eines behinderten Kindes vorbereite, führte Hansmann die „Tripel-X“-Anomalie am Beispiel für einen schweren Erbdefekt an. Zwar gebe es keine physischen Probleme, und auch der „Phänotyp“ sei normal – aber die Intelligenz sei deutlich herabgesetzt.

Er wisse wohl, fuhr er den Vertretern des „sanften Images“ weiter in die Parade, daß die Schwere dieses Defekts in der Öffentlichkeit strittig sei, „aber wenn eine anonyme Umfrage unter Humangenetikern gemacht wird, werden die allermeisten meine Meinung teilen“.

Das genau war es, was Regula Schmitt-Bott von den Behinderteninitiativen zuvor zur Empörung der übrigen ExpertInnen und PolitikerInnen vermutet hatte: daß in der wissenschaftlichen Gemeinde hinter verschlossenen Türen ganz anders diskutiert werde als es die verständnsivollen Töne, die nach außen dringen, suggerieren wollen.

Darauf deutet auch ein anderer kurzer Diskussionsvortrag hin, der nicht sehr weit verfolgt wurde. Auf mögliche Gefahren der Keimbahntherapie angesprochen, äu ßerte die Professorin Schroeder- Kurth zwar auch Bedenken gegen deren Anwendung. Sie vermutet aber gleichwohl, daß Experimente an der Keimbahn in den nächsten Jahren durchgeführt werden. Die ebenfalls als Expertin angehörte Professorin Rehder von der Universität Lübeck widersprach ihr: Nicht etwa aus moralischen Bedenken, sondern weil ihr eine andere Methode aussichtsreicher zu sein schien: die sogenannte Pre-Implantations-Diagnostik, bei der Paare, die möglicherweise Erbkrankheiten vererben könnten, eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas machen und der daraus entstehende Embryo vor der Einsetzung in den Mutterleib auf Erbkrankheiten untersucht würde.

Der Effekt beider Methoden, das wurde unausgesprochen deutlich, ist der gleiche: Behinderte Neugeborene wird es nicht mehr geben. Damit war nach drei Stunden Anhörung wenigstens die Kluft zwischen angeblichem Beratungswillen und tatsächlichem Weg der Humangenetiker offensichtlich geworden.