Ministerpräsident Özal gibt den Kurden nach

Der Hungerstreik von 2.000 Gefangenen im türkischen Militärgefängnis Diyarbakir ist zu Ende / Forderungen der Inhaftierten zum großen erfüllt: die kurdische Sprache wird bei Besuchen erlaubt sein und Anwaltsgespräche werden nicht mehr überwacht / Innerparteiliche Konflikte bei Regierung und Opposition  ■ Aus Istanbul Ömer Eceren

„Ich schäme mich für das, was sie taten. Sie hängten ein Seil an die Zimmerdecke und zogen mich an meinem Geschlechsteil hoch. Anschließend warfen sie mich in einen Raum voll Urin, Kot und Blut. In den folgenden Tagen brachen sie mir mein Kinn, und weil sie mir den Mund zuschlugen, sind meine Zähne gebrochen. Wenn sie mich aus dem Klo herausholten, legten sie mich auf Beton und schlugen mir immer wieder auf Kopf, Hände und Füße.“ So berichtet der Rechtsanwalt Hüceyin Yildirim über seinen Aufenthalt 1981 im Militärgefängnis Diyarbakir.

Das Militärgefängnis Diyarbakir ist zum Symbol geworden: Seit dem Militärputsch 1980 starben 79 Gefangene an den Folgen der Folter oder der Hungestreiks. Acht Hungerstreiks führten die Gefangenen bis heute, der längste – im Jahr 1982 – dauerte 63 Tage und kostete acht Gefangenen das Leben. Damals protestierten die Gefangenen gegen die Verbrennung von fünf Mithäftlingen bei lebendigem Leibe.

Ein Toter und sechs Gefangene im Koma ist die Bilanz des letzten Hungerstreiks, an welchem 2.000 Gefangene teilnahmen und der vergangene Woche zu Ende ging. Anlaß des Hungerstreiks war die Mißhandlung der Familienangehörigen während der Gefangenenbesuche, wenn diese Kurdisch miteinander sprachen. „Die Soldaten stachen mit Nadeln auf mich ein, wenn ich Kurdisch redete“, berichtet die 60jährige Saliha Sener, deren Sohn in Diyarbakir einsitzt. Als die Gefängnisleitung am 29. Januar die Gefangenenbesuche unter der Begründung, es werde Kurdisch geredet, verbot, brach der Hungerstreik aus.

Forderungen erfüllt

Doch dieses Mal lenkte die Regierung ein und erfüllte einen Großteil der Forderungen der Gefangenen. Erstmalig seit dem Militärputsch 1980 sah sich eine Regierung gezwungen, auf Forderungen hungerstreikender Gefangener einzugehen. Unter Einsatz ihres Lebens demonstrierten die Hungerstreikenden, daß die wenige Wochen zuvor von der türkischen Regierung unterzeichnete Anti-Folter-Konvention der EG in Diyarbakir nicht gilt. Der Konflikt drohte nicht nur das Image der Demokratisierung, welches im Zuge der angestrebten EG-Mitgliedschaft vonnöten ist, zu demontieren, sondern drohte zum offenen Aufruhr im kurdischen Diyarbakir zu führen. Die Familienangehörigen besetzten die Parteizentralen der regierenden Mutterlandspartei und der sozialdemokratischen Volkspartei und drohte, sich zu verbrennen, falls nicht eingelenkt werde. Zwei sozialdemokratische Abgeordnte schlossen sich dem Solidaritätshungerstreik der Familienangehörigen an, Abgeordnete kurdischer Abstammung der Mutterlandspartei forderten Parteichef und Premierminister Özal zum Nachgeben auf.

Diese Woche konnten die Familienangehörigen wieder auf Kurdisch mit den Gefangenen sprechen. Um den Hungerstreik zu beenden, verkündete das Verteidigungsministerium eine Reihe von Haftverbesserungen: Die Besuchszeiten werden von einer halben Stunde auf eine Stunde erhöht, die Häftlingskleidung wird abge schafft, Schreibmaschinen und Radio werden in den Zellen zugelassen, die Anwälte können mit ihren Mandanten alleine sprechen. Der Putschistengeneral und jetzige Staatspräsident Kenan Evren mußte nach geltendem Recht diese Woche eigens einer Kabinettssitzung beiwohnen, um einen Kabinettsbeschluß zu ermöglichen, wonach die Gefangenen aus Militärgefängnissen in zivile Gefängnisse überführt werden können. Selbst Evren (“Die Terroristen sollen sich nicht über Folter beklagen“) sprach davon, daß „die Situation der Militärgefängnisse in diesem Gebiet nicht gut ist“.

Verwirrung der Parteien

„Natürlich spielt innenpolitischer und außenpolitischer Druck bei der Entscheidung eine Rolle“, gesteht der türkische Ministerpräsident Özal ganz unbefangen. „Aber wir, der Staat, haben denen nicht Türkisch beigebacht. Ein bißchen Verschulden kommt also auch uns zu. Eine Zeitlang waren dort Dolmetscher tätig. Da ergibt es doch keinen Sinn, wenn wir im Ausland uns mit den Worten Es gibt keine Kurden, es gibt kein Kurdisch, es gibt nur türkische Dialekte verteidigen“, rechtfertigte Özal seine Entscheidung auf der konfliktreichen Fraktionssitzung der Mutterlandspartei am Dienstag. Rechtsextreme Abgeordnete der Mutterlandspartei sehen in der Entscheidung zu Diyarbakir „eine ungeheure Ungerechtigkeit“. Sie bemühen sich seit geraumer Zeit um Verbesserung der Haftbedingungen der faschistischen Gewalttäter im Gefängnis Mamak in Ankara und müssen jetzt mitansehen, wie die „kurdischen Terroristen mit ihrem Hungerstreik“ einen Sieg davontragen. „Während die reinen und gerechtfertigten Forderungen der Gefangenen in Mamak nicht erfüllt werden, kriegen die Gefangenen in Diyarbakir alle Forderungen erfüllt. Und das auf Wunsch eines Abgeordneten, der kurdische Propaganda und Seperatismus von der Rednertribüne des Parlaments betrieben hat“, gab der Abgeordnete Konukman seinem Mißmut freien Lauf.

Auch die „Sozialdemokratische Volkspartei“ unter Vorsitz von Erdalk Inönü ist durch den Hungerstreik aufgewühlt worden. Die Parteispitze, die sich in der Öffentlichkeit zu Fragen der Menschenrechte aufgeschlossen zeigt, ist beunruhigt über das politische Potential des kurdischen Widerstands. Während des Hungerstreiks teilte Inönü den Genossen in Diyarbakir mit, daß solche Aktionsformen der Partei schadeten. Die sozialdemokratischen Abgeordneten, die in Diyarbakir am Solidaritätshungerstreik teilnahmen, wurden nach Ankara zurückbeordert, die Familienangehörigen wurden aufgefordert, die Parteizentrale zu verlassen. Selbst als feststand, daß der Gefangene Mehmet Emin Yavuz an den Folgen des Hungerstreiks gestorben war, bemühten sich die Sozialdemokraten, ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der „öffentlichen Ordnung“ zu leisten. Am Telefon übermittelte der Abgeordnete Atalay die Nachricht vom Tod des Gefangenen auf Englisch nach Ankara: aus Angst, daß die Bekanntgabe in Diyarbakir Menschen mobilisieren könnte.

Enttäuschte Sozialdemokraten brachten daraufhin sogar eine Unterschriftenliste in Umlauf, wo die Haltung des Parteivorsitzenden Inönü verurteilt und das „menschliche Vorgehen“ Turgut Özals gelobt wird.