Lafontaine sorgt für Wirbel

■ ÖTV: Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich kommt nicht in Frage Gewerkschaften empört / Schröder und Dohnanyi geben Lafontaine Schützenhilfe

Berlin (dpa/ap/taz) – Mitten in der laufenden Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst hat der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) einen Sprengsatz gezündet, der bei den Gewerkschaften für höchste Alarmstimmung sorgt: Die alte Forderung Lafontaines nach Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich hat bei den Gewerkschaften Empörung und Protest hervorgerufen. Die ÖTV- Vorsitzende Monika Wulf-Mathies übte auf einer Großkundgebung des DGB am Samstag in Stuttgart scharfe Kritik am Vorschlag ihres Parteigenossen: Vor über 100.000 Gewerkschaftsmitglieder rief die ÖTV-Chefin aus: „Wir scheuen uns auch nicht, einem Ministerpräsidenten, der uns mitten in der Tarifbewegung in den Rücken fällt, gehörig auf die Finger zu klopfen.“ Eine Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich komme nicht in Frage, betonte Frau Wulf-Mathies. Lafontaine warf sie vor, seine Forderung sei „Effekthascherei“ zu Lasten der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Auch der Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, startete einen kräftigen Seitenhieb auf Lafontaine. Er verwies auf den tarifpolitischen Erfolg mit der 36,5-Stunden-Woche in der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie „trotz Lafontaine mit vollen Lohnausgleich“. Steinkühler sicherte den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes bei ihrem Kampf für die Wochenarbeitszeitverkürzung die volle Solidarität der IG Metall zu. Gleichzeitig erklärte Steinkühler vor den Kundgebungsteilnehmern, es sei endlich Zeit, daß die Bundesregierung „aus ihrem beschäftigungspolitischen Winterschlaf aufwacht“. Wer wie Bundeskanzler Helmut Kohl „nicht begreift, daß Arbeitszeitverküzung für 20 Millionen Arbeitnehmer besser ist als Arbeitslosigkeit für mehr als zwei Millionen“, der hat nach Worten Steinkühlers „den Anspruch verloren, dieses Land zu regieren“.

Auch die IG Druck weist die Lohnverzichtsappelle Lafontaines scharf zurück: Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft, Detlef Hensche, erklärt in der neuen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift Druck und Papier, ein Verzicht auf Lohnausgleich wie auch auf arbeitsrechtliche Er rungenschaften werde „dem Unternehmer die Tasche füllen, ohne einen einzigen Arbeitsplatz zu schaffen“. Wettbewerbsvorteile durch niedrigere Lohnkosten seien erfahrungsgemäß nicht von langer Dauer und brächten daher keine neuen Arbeitsplätze. „Es kann nicht unsere Aufgabe sein, durch falsch verstandene Solidarität und persönliche Verzichtleistung den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu schmieren“, betonte Hensche. In einem Interview mit dem Kölner Express hat Lafontaine seine umstrittenen For derungen konkretisiert: Am Lohnausgleich für die unteren Einkommensgruppen solle nach wie vor festgehalten werden, nur die Besserverdienenden mit einem Einkommen ab etwa 5.000 DM sollten Lohnopfer bringen.

Der Vorsitzende der IG Chemie, Hermann Rappe, warf Lafontaine in einem Spiegel-Streitgespräch vor, seine Vorschläge seien eine Belastung für die Tarifverhandlungen der Gewerkschaften. „Lohnausgleich muß sein, um erstens die Kaufkraft derer, die Arbeit haben, zu erhalten und um zweitens Renten, Kranken- und die Arbeitslosenkassen nicht ins Rutschen kommen zu lassen.“ Rappe fordert einen Verzicht auf die Steuerreform und damit mehr Geld für die Städte und Gemeinden, „damit diese durch Infrastrukturmaßnahmen mehr Menschen in Arbeit bringen können“. Außerdem forderte er eine Einstellungsoffensive der Unternehmen, zu der die Gewerkschaften z. B. durch längere Laufzeiten der Tarifabschlüsse beitragen könnten.

Schützenhilfe erhielt Lafontaine vom niedersächsischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Gerhard Schröder. Auf einem jugendpolitischen Kongreß sagte Schröder, Lafontaines Ansatz sei in den Gewerkschaften diskutabel, „ja sogar mehrheitsfähig“. Auch Hamburgs Oberbürgermeister Dohnanyi stellte sich hinter Lafontaines „Solidarbeitrag für die Arbeitslosen“. Dohnanyi begründete dies auch damit, daß die öffentlichen Haushalte bis zum Hals in der Verschuldung steckten. katel