Gottes Mann fürs Weiße Haus?

■ Als Stimmvieh sind sie der Republikanischen Partei willkommen / Doch wenn religiöse Fundamentalisten beginnen, die Partei von unten aufzurollen, hört das Wohlwollen auf / Der Fernsehpredigerund Präsidentschaftskandidat Pat Robertson wird Reagans alter Garde zur Last

Aus Washington Stefan Schaaf

Pat Robertson witterte ein Spiel mit gezinkten Karten. Es könne kein Zufall sein, sagte der gottesfürchtige Präsidentschaftsbewerber, daß die sexuellen Abenteuer des Fernsehpredigers Jimmy Swaggart gerade jetzt ans Licht der Öffentlichkeit gekommen seien. Robertson hinterließ bei den Reportern auf seiner Pressekonferenz vor einigen Tagen auch keinen Zweifel, gegen wen sein Verdacht gerichtet sei. So wie er die Leute um Vizepräsident Bush einschätze, gebe es keine Drecksarbeit, vor der sie nicht zurückschreckten. Robertson hat allen Grund, sich um die Auswirkungen des Sündenfalls seines predigenden Kollegen und persönlichen Freundes zu sorgen. Dessen vorläufig letzte wöchentliche Fernseh–Show wurde zum Spektakel und zur Sensation: Swaggarts unter Schluchzen und Zittern vorgebrachtes Eingeständnis, er habe „gesün digt“ und sich gegen Gott, seine Familie und die Anhänger seiner Kirche vergangen, rüttelte an den Grundfesten der protestantisch– fundamentalistischen Welt. Jimmy Swaggart war einer der mächtigsten, finanzstärksten und feurigsten Fernsehprediger; und Swaggart war auch derjenige, der im vergangenen Jahr den Skandal um die TV–Religiosos Jim und Tammy Bakker ausgelöst hatte. Jim, der eine Mitarbeiterin seiner Kirche verführt und ihr dann ein sattes Schweigegeld bezahlt hatte, und Tammy mußten nicht nur ihre Fernseh–Show, sondern auch ihren profitablen religiösen Ferienpark in North Carolina aufgeben. Nun sind nicht nur die Bakkers, sondern auch Swaggart von den Millionen amerikanischen Bildschirmen verschwunden, aufdenen sie den Zuschauern Gottesfurcht beibrachten und gegen Liberale, Schwule, Darwinisten und Kommunisten wetterten. Ein Trust in Sachen Seelenheil Auch Robertson beklagt den moralischen Verfall Amerikas, für den er das „liberale Ostküsten– Establishment“ und „radikale, militante Homosexuelle“ verantwortlich macht, seit er 1961, mit 70 Dollar in der Tasche, eine Fernsehstation in Virginia Beach kaufte. Heute ist daraus ein TV– Imperium mit 4.000 Angestellten, einer Universität und einem jährlichen Umsatz von 230 Millionen Dollar geworden, 75 Prozent davon Spenden. Robertson betreibt sein eigenes Kabelprogramm, das „Christian Broadcasting Network“ mit 30 Millionen Abonnenten. Bis vor kurzem leitete er dort seine eigene tägliche Show, den „700 Club“, halb religiöse Talk Show, halb spirituelles Spektakel mit Wunderheilungen und in Verzückung fallendem Publikum, das beginnt, „in Zungen zu sprechen“. Robertson ist überzeugt, daß der Glaube selbst lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs heilen kann; er sagt, er sei „tausendmal Zeuge solcher Wunder“ geworden. Selbst Naturkatastrophen könne man durch Gebete abwenden: So erhörte Gott Robertsons Flehen und ließ den Hurrikan „Gloria“ kurz vor der Küste Virginias aufs offene Meer abdrehen. „Dies war sicherlich ein Wunder“, sagte er. „Es war kein Glück, sondern göttliche Intervention“. Vor zwei Jahren tauschte er den Predigerrock gegen die Art teurer Anzüge ein, wie sie einem Politiker besser zu Gesicht stehen, und kündigte seine Kandidatur für das Weiße Haus an - ein Karrieresprung, der ihm, so Robertson, vom lieben Gott persönlich nahegelegt wurde. Die Macht– und Finanzbasis für seinen politischen Kreuzzug sollte seine religiöse Gefolgschaft bilden - ein kräftiges Sprungbrett, wie die vergangenen Monate beweisen; nach George Bush verfügt Robertson über die meisten Geldmittel. In Michigan unterwanderte er die Partei und brachte sie an den Rand der Spaltung, im September vergangenen Jahres schockierte er das Parteiestablishment durch einen Sieg bei einer Probeabstimmung in Iowa, und dann entschied er lokale Wählerversammlungen in Hawaii mit 82 Prozent für sich. Jedesmal schien die Partei aus allen Wolken zu fallen. Wo Robertson auch siegte, „die Republikaner hatten stets vorher gesagt, so etwas könne bei ihnen nicht passieren - und dann flogen die Türen aus den Angeln“, sagte ein Mitarbeiter George Bushs. Bei den ersten Vorwahlen Anfang Februar in Iowa sorgte Robertsons „unsichtbare Armee“ abermals für eine Überraschung, vor allem für Vizepräsident Bush. Der landete hinter Senator Dole und Robertson nur auf dem dritten Platz. Nun steht der zum Politiker gewandelte TV–Evangelist vor dem entscheidenden Punkt in seinem Bestreben, „eine permanente Umstrukturierung der amerikanischen, besonders der republikanischen Politik zu beginnen“. In den republikanischen Wählerversammlungen in South Carolina am 5.März könnte Robertson alle anderen schlagen, ob sie nun Dole, Bush oder Kemp heißen. Ein Sieg Robertsons wäre ein schlechtes Omen für die republikanische Konkurrenz drei Tage vor dem „Super Tuesday“, wenn in den gesamten Südstaaten die Präsidentschaftsbewerber der beiden Parteien bestimmt werden. Fundamentale Ansichten Mehr als vierzig Prozent der Wähler South Carolinas bezeichnen sich als „wiedergeborene Christen“; sie haben durch eine persönliche Begegnung mit Gott ihren Glauben wiedergefunden. Ihr unaufhaltsamer Weg in die Politik begann, als mit dem baptistischen Laienprediger Jimmy Carter ein Glaubensbruder zum Präsidenten gewählt wurde. Doch erst mit Ronald Reagan zog dann ein Mann ins Weiße Haus ein, der sich auch die Forderungen und die Weltsicht der Fundamentalisten zu eigen machte; wiederholt schwadronierte Reagan vom drohenden „Armageddon“, dem Weltunter gang. Wenn es nach den christlichen Fundamentalisten ginge, würde das Schulgebet wiedereingeführt, Abtreibungen wären illegal und vor allem würden ihre Kinder nach christlichen anstatt nach atheistischen Grundsätzen erzogen. Lehrer dürften nicht länger behaupten, daß die Erde aus dem Urknall entstand, sondern sollten den Kindern beibringen, daß sie aus Gottes Schöpfung hervorgegangen sei. Doch nach sieben Jahren Ronald Reagan sind die christlichen Fundamentalisten politisch kaum weiter gekommen. Während Reagan die übrigen Bestandteile seiner Wählerkoalition zufriedenstellen konnte, gingen sie leer aus. Die Steuern wurden gesenkt, das Militär aufgerüstet, doch noch immer überschwemmen, so die fundamentalistische Sicht, Pornographie und Unmoral die amerikanische Gesellschaft. Die Nominierung Robert Borks für den Obersten US–Gerichtshof im vergangenen Sommer stellte den letzten Versuch Reagans dar, seinen nach Stärkung der Moral hungernden Anhängern Genugtuung zu verschaffen - doch Bork wurde nach langem und bitterem parlamentarischen Streit abgelehnt. Ballast für die Partei Die republikanische Rechte hatte in den Wahlkämpfen Ronald Reagans begriffen, daß das weitreichende und ungeheuer motivierte Mitglieder–Netzwerk der fundamentalistischen Kirchen ein hervorragendes Instrument zur Wählermobilisierung ist. Von Pat Robertson muß die Partei nun lernen, daß die Kirchen aber auch ein Mittel sein können, eine politische Organisation aus den Angeln zu heben. Beispiel Georgia: Durch frühzeitige Organisationsarbeit auf der lokalen Ebene ist es Robertson gelungen, fast alle poten tiellen Delegiertenposten mit loyalen Gefolgsleuten zu besetzen. Unabhängig davon, wie die Delegierten nach den Vorwahlen auf die einzelnen Bewerber verteilt sein werden, könnte Robertson damit auf dem Parteikonvent in New Orleans für Überraschungen sorgen. Der Chef von Robert Doles Präsidentschaftskampagne sagt anerkennend: „Robertson hat wahrscheinlich den schlagkräftigsten politischen Apparat in den USA.“ Wenn dies so ist, warum wird es Robertson dennoch kaum gelingen, die Nominierung zu erringen? Zum einen, weil ein Kandidat mit derart ergebenen Gefolgsleuten ebenso entschlossene Gegner auf die Bildfläche ruft. Robertson ist zu umstritten. Die meisten Wähler wollen keinen Mann im Weißen Haus, der die seit 200 Jahren strikt befolgte Trennung von Staat und Kirche aufheben will und der sagt, daß die Bürger ihre Rechte nicht von der Regierung, sondern vom „allmächtigen Herrn“ erhalten haben. In Umfragen wurde deutlich, daß zwei Drittel aller Amerikaner einen „ungünstigen Eindruck“ von Robertson haben. Zum anderen hat er keine politische Erfahrung, und schließlich gerät er mit den Fakten noch häufiger ins Gehege als der amtierende Präsident. Republikanische Funktionäre bringt die Entwicklung der vergangenen Monate zum Erschauern, sie fürchten um den Bestand der Partei. Zu leicht kann eine Parteistruktur, die nicht auf Mitgliedern, sondern nur den gewählten Amtsträgern in Gemeinden, Landkreisen und Staatsparlamenten basiert, von innenheraus aufgerollt werden. In Florida sagte die republikanische Parteivorsitzende Jeanie Austin, daß Robertsons Leute nicht die Partei aufbauen helfen wollten, sondern „uns vorschreiben, wie wir unsere Arbeit zu machen haben“. Eine andere republikanische Funktionärin klagte, daß fundamentalistische Aktivisten „die Basis der Partei verengen und sie zur Selbstzerstörung treiben“. Fest stehe, daß ein großer Teil der republikanischen Wähler Robertson „sehr feindlich“ gegenübersteht, und daß Robertson als „spalterische Kraft“ angesehen wird. Wie weiter ohne Reagan? Doch auch ohne ihre Probleme mit Pat Robertson steht die republikanische Partei vor der Frage, wie sie das Wählerbündnis, das sich 1980 hinter Ronald Reagan vereinigte und dem vor allem viele de mokratische Parteigänger angehörten, zusammenhalten will. Immerhin umfaßte diese Koalition so verschiedene Interessengruppen wie Steuergegner, religiös motivierte Ultras und Anhänger eines weltweiten antisowjetischen Rollbacks. Diese Frage wird besonders dringlich, wenn man sich die vergangenen beiden Jahre, in denen Reagans politische Erfolge immer seltener wurden, vergegenwärtigt. Der Politologe William Schneider vertritt die Ansicht, daß die Reagan–Revolution schon Anfang letzten Jahres den letzten Schwung verloren hatte. „Sie wurde nicht von ihren Gegnern erstickt, sie fiel in sich zusammen“, denn seine Präsidentschaft hatte ihre erreichbaren Ziele erreicht. Außerdem verlor Reagan die Kontrolle über den Senat, dann brach das Iran–Contra– Unwetter über seine Administration herein, und schließlich ließ der Börsensturz vom letzten Oktober Reagans wirtschaftliche Erfolgsbilanz wie einen Luftballon zerplatzen. Reagans Amtszeit wird für die Partei damit zu einer sehr zweischneidigen Waffe im Wahlkampf um die Festsetzung republikanischer Politik. Reagan als Präsident mag sich nach wie vor großer Popularität erfreuen, doch seine Politik erweist sich immer stärker als Bürde für seine potentiellen Nachfolger. Nicht umsonst ist das Budget– und Handelsdefizit zum wichtigsten Debattenthema der Präsidentschaftskampagne geworden. Doch jede neue Diskussionsrunde der Kandidaten beweist, daß die Rezepte allenfalls plakativ sind. Zum Glück müssen die Aspiranten auf das Weiße Haus nicht beweisen, daß sie eine gute Lösung parat haben - es genügt, die am wenigsten schlechte zu präsentieren, um am Ende nominiert zu werden. Bushs Handicap Für George Bush ist die politische Abhängigkeit von Ronald Reagan am problematischsten. Er muß zeigen, daß er loyal zum Präsidenten stand, ohne daß dessen politische Fehler deswegen auf ihn abfärben. Der Iran–Contra–Skandal ist der beste Beleg für die Unmöglichkeit dieser Gratwanderung. Fragen über Bushs Rolle oder Nicht–Rolle bei den grundlegenden Entscheidungen über dieses politische Desaster verfolgen den Vizepräsidenten auf Schritt und Tritt. Doch ist der Waffen– und Geiselhandel mit den Iranern nicht dereinzige Schwachpunkt in Bushs Kandidatur. Sein Ansehen bei den verschiedenen Flügeln der breitgefächerten Reagan–Koalition bleibt weit hinter dem Reagans zurück. Bush ist ein behütetes Kind der Oberklasse, und damit genau den Vorurteilen über das Establishment, die Eliteuniversitäten der Ostküste und die golfspielenden Traditions–Republikaner ausgesetzt, die die neue Rechte in den USA seit zwanzig Jahren nährt. Die vielen Ämter, in die Bush im Lauf seiner politischen Karriere ernannt wurde, unterstützen noch den Eindruck, daß er ein Politiker ist, der sich immer ins gemachte Bett gelegt hat. Wenn er sich zur Wahl stellte, erntete er dagegen meist Niederlagen - so in zwei Senatswahlkämpfen und bei einer Präsidentschaftskandidatur, die Bush wenig Stimmen, aber am Ende den Vize–Posten unter Ronald Reagan einbrachte. Robert Dole dagegen baut auf eine andere Art von Loyalität zu Ronald Reagan. Während Bush im Kabinett als bedeutungsloser Pappkamerad fungiert hat, schlug Dole sich im Senat mit den parlamentarischen Gegnern Reagans herum und sorgte dafür, daß aus all den ideologischen Luftschlössern des Präsidenten auch Gesetze wurden. Doch Dole machte auch deutlich, daß er viele dieser Pläne für nicht sonderlich klug hält. Im Iran–Contra–Skandal war er es, der auf rasche parlamentarische Schadensbegrenzung drängte und die Ernennung von Untersuchungsausschüssen und Sonderanklägern forderte. Gefragt, ob er Oliver North für einen „Nationalhelden“ halte, schüttelte er entsetzt den Kopf; schließlich habe der Mann fast einen Präsidenten zu Fall gebracht. Dole hätte wesentlich eher als Bush die Fähigkeit, die 1980 und 1984 zu Reagan übergelaufenen demokratischen Wähler im republikanischen Lager zu halten. Doch auch er hat ein Charakterproblem - was im Zeitalter der Image– und Fernseh–Wahlen ein wichtiger Faktor ist. Viele halten ihn für unberechenbar und aggressiv, ein Fehler, den er nach seiner überraschenden Niederlage gegen Bush in New Hampshire nur ein weiteres Mal demonstrierte. Als er vor Millionen von Zuschauern nach seiner Reaktion auf das Ergebnis gefragt wurde, zischte er barsch: „Bush soll aufhören, Lügen über meine Positionen zu verbreiten.“ Es wird weiter gebetet und unterwandert, gestritten und gelogen werden - schließlich ist Wahlkampf in Amerika.