Armenischer Protest zeigt erste Erfolge

■ Amateur–Videofilm belegt die Gewaltfreiheit der armenischen Demonstranten / Die sowjetischen Milizionäre griffen bei den friedlichen Demonstrationen nicht ein / Erste Zugeständnisse der Behörden / „Gesellschaft für bedrohte Völker“ vermeldet zwei Tote und 15 Verletzte

Moskau (afp/ap/taz) - Ein Meer von Demonstranten, im Opernpark Eriwans zusammengedrängt und immer wieder „Karabach, Karabach“ rufend: Das sind die Bilder des ersten Videofilms über die Massendemonstrationen in der armenischen Hauptstadt, der der US–Fernsehgesellschaft ABC zugespielt worden war und am Sonntag in Moskau einer Gruppe westlicher Journalisten gezeigt wurde. Offensichtlich wurden die 30minütigen Schwarz–Weiß– Aufnahmen von einem Amateurfilmer am Donnerstag und Freitag gedreht, als die Kundgebungen für einen Wiederanschluß des autonomen Gebiets Nagorny Karabach (Berg Karabach) an Armenien ihren Höhepunkt erreichten. Auf dem Videofilm sind äußerst disziplinierte Gruppen von Männern und Frauen jeder Altersschicht zu erkennen, die Transparente mit der russischen Aufschrift „Selbstbestimmung ist kein Extremismus“ oder „Karabach - ein Test für Perestroika“ schwingen. Andere Plakate tragen Slogans in armenischer Sprache. Andere Aufnahmen vom Freitag zeigen sowjetische Milizionäre, wie sie offensichtlich unge rührt im Sonnenschein miteinander plaudern, während im Opernpark die Kundgebungen fortgesetzt werden. Zuvor hatten bereits armenische Zeugen versichert, daß die Sicherheitskräfte während der friedlichen Demonstrationen nicht eingegriffen hätten. Der Herausgeber des illegalen Bulletins Glasnost, Sergej Grigorians, lobte am Sonntag ausdrücklich die Leistung des Organisationskomitees, das die Demonstranten immer wieder zu friedlichen Auseinandersetzungen gemahnt hatte. Es erließ die Anweisung, sich bei gewalttätigen Zwischenfällen sofort auf den Boden zu setzen, Alkohol wurde strikt verboten. Das Komitee hatte am Sonntag die Protestkundgebungen für einen Monat ausgesetzt, nachdem Parteichef Michail Gorbatschow zwei armenischen Schriftstellern zugesichert hatte, er werde sich für eine Lösung in Karabach einsetzen. Anlaß für die Auseinandersetzungen ist nach Aussagen von Grigorians die Ablehnung einer Petition an Gorbatschow und das für Propaganda und Kultur zuständige Politbüromitglied Alexander Jakowlew. 75.000 Armenier in Nagorny–Karabach - die Hälfte der dortigen armenischen Bevölkerung - hätten diese Petition unterschrieben. Die Ablehnung sei jedoch nicht von Gorbatschow oder Jakowlew gekommen, sondern von einer unteren Ebene, sagte Grigorjans. Bürgerrechtskreise wiesen darauf hin, daß erste Zugeständnisse gemacht worden seien: so werde das armenische Fernsehen nun auch in Nagorny–Karabach ausgestrahlt, die Karabacher Schulen sollen vom armenischen Bildungsministerium mitverwaltet werden, und der Wiederaufbau des von den Armeniern tief verehrten Klosters Schuscha sei beschlossen worden. Nach Mitteilung der „Gesellschaft für bedrohte Bevölker“ beteiligten sich am vergangenen Sonntag etwa 50.000 Armenier an einem Sit–in auf dem zentralen Platz der Ortschaft Stepanakert. Offiziell seien bisher zwei Tote und 15 verwundete Armenier registriert, doch liege die Zahl der armenischen Opfer vermutlich viel höher. Inzwischen hätten die Armenier von Karabach Wachen an ihren Ortszugängen postiert. Der Verband der Armenischen Vereinigungen im deutschsprachigen Raum hat unterdessen Gorbatschow in einem Telegramm aufgefordert, Karabach wieder nach Armenien einzugliedern. Darin heißt es: „Die Notwendigkeit der Wiedereingliederung Karabachs an die Armenische SSR ergibt sich nicht nur aus den legitimen historischen Rechten des armenischen Volkes, sondern auch aus den Prinzipien der Leninschen Nationalitätenpolitik.“ -ant–