Lafontaine weckt grüne Kontroverse

■ Auch bei den Grünen gegensätzliche Einschätzungen von Lafontaines tariflichem Denkanstoß

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der Vorschlag Oskar Lafontaines, bei Arbeitszeitverkürzungen auf vollen Lohnausgleich zu verzichten, hat nicht nur in der SPD, sondern auch bei den Grünen schlummernde Kontroversen geweckt. Als sozialpolitischer Sprecher lobte Ex–Daimler–Benz–Betriebsrat Willi Hoss den „richtigen Denkanstoß“ Lafontaines; der wirtschaftspolitische Sprecher Peter Sellin konterte, der Saarländer erweise Arbeitslosen und Gewerkschaften einen „Bärendienst“: Höhere Gewinne der Unternehmer böten keine Gewähr für Investitionen und Neueinstellungen; die sinkenden Reallöhne der vergangenen Jahre hätten eine Steigerung der Arbeitslosigkeit nicht verhindert. Der Lohnausgleich für untere und mittlere Ein kommen wäre finanzierbar, so rechnet Sellin, zumal wenn dann sinkende gesellschaftliche Kosten der Arbeitslosigkeit zu Buche schlagen. Beschlußlage der Grünen ist die Forderung nach vollem Lohnausgleich für „untere und mittlere Einkommen“; allerdings ist diese Position schon seit dem Sindelfinger Parteitag der Grünen umstritten und aufgrund fehlender Konkretisierung interpretierbar. Die jetzige Kontroverse bei den Grünen scheint allerdings weniger um die Frage zu gehen, wo finanziell die Meßlatte an Löhne und Gehälter gelegt wird. Eher scheiden sich die Geister daran, wo die Grünen in der gesellschaftlichen Debatte um Krisenbewältigung ihren Standpunkt orten. Bundesvorstandssprecher Christian Schmidt: „Lafontaines Vorstoß zielt auf die Minderung sozialer Leistungen. Er will die Umverteilung zwischen Arbeitnehmergruppen statt zwischen Kapital und Arbeit.“ Willi Hoss verband sein Lob für den Saarländer hingegen mit der Forderung, auch den Arbeitnehmern „müsse ein Solidarbeitrag abverlangt“ werden. Regula Bott, ökosozialistische Sprecherin der Fraktion, kritisiert diese Position verhalten als „ungeschickt“: „Gerade in den laufenden Tarifauseinandersetzungen müßten wir klare Positionen beziehen.“ Innergrüne Kontroversen zwischen „wirtschaftsliberalistischen und gewerkschaftlichen Standpunkten“, so eine Formulierung Verena Kriegers, waren in der jüngeren Vergangenheit auch bei den Themen Stahlkrise und Ladenschlußgesetz aufgebrochen.