Kommen die Roten Khmer zurück?

■ Auch Vietnam hat sein „Afghanistan“: Der politische und wirtschaftliche Preis für seine Präsenz in Campuchea ist zu hoch / Truppenabzug bis 1990 angekündigt Obwohl Prinz Sihanouk wieder für Gespräche zur Verfügung steht, bleiben die Roten Khmer die Schlüsselgröße für eine Lösung des Campuchea–Konflikts

Von Uwe Hoering

Etwas verloren wirkt der Trupp vietnamesischer Soldaten in der riesigen Tempelanlage Angkor Wat. Lachend und ohne Zögern posieren sie mit ihren Gewehren für die Kameras der kleinen Gruppe westlicher Touristen, deren Anwesenheit in diesem, bis vor kurzem noch von der Roten Khmer Pol Pots kontrollierten Gebiet im westlichen Campuchea Normalisierung signalisiert. Seit ihrem Einmarsch 1979 und dem Sturz des Schreckensregimes der Roten Khmer sind die vietnamesischen Truppen in Campuchea Befreier, Besatzer und Beschützer zugleich. Ohne sie würde die Regierung Heng Samrin in Phnom Penh gegen die Guerilla– Trupps der Roten Khmer, die ihre Stützpunkte vor allem im Grenzgebiet zu Thailand hat, kaum etwas ausrichten können. Doch Vietnam denkt an Abzug, bis 1990, so hat man in Hanoi versprochen, sollen die gegenwärtig etwa schätzungsweise 140.000 Soldaten Campuchea verlassen haben, und hört dabei offenkundig auch auf den „brüderlichen Rat“ der Sowjetunion, die Vietnam in seiner wirtschaftlich katastrophalen Lage seit Jahren aushält. Längst ist der wirtschafltiche Preis der militärischen Präsenz im Nachbarland, vor allem aber auch der politische Preis zu hoch geworden: Die westlichen Staaten nutzten den Einmarsch 1979 als Vorwand, um Vietnam international politisch zu isolieren und ihre magere Unterstützung für den Wiederaufbau nach einem dreißigjährigen Krieg ganz einzustellen. Voraussetzung für einen Truppenabzug ist allerdings eine neutrale Regierung in Phnom Penh und die Garantie, daß die Roten Khmer nicht wieder an die Macht zurückkehren. Hoffnungen machten die Gespräche, die der einstige Staats chef Campucheas, Prinz Norodom Sihanouk, Anfang Dezember letzten Jahres mit Hun Sen, dem jetzigen Ministerpräsidenten in Phnom Penh, in Frankreich führte. Sihanouk, der als Präsident der von den meisten nicht–sozialistischen Ländern und den Vereinten Nationen anerkannten Exil–Regierung des „Demokratischen Campuchea“ eine neutralistische Position vertritt, führten diese ersten Gespräche gegen den Widerstand seiner beiden sehr unterschiedlichen Koalitionspartner, Son Sanns pro–westlicher „Nationaler Volksbefreiungsfront der Khmer“ ((KPNLF) und der Roten Khmer. Auch China, unter dessen Fittiche sich Sihanouk nach seinem durch die USA Anfang der siebziger Jahre organisierten Sturz begeben hatte, und dessen Beziehungen zu Vietnam seit dem Sturz Pol Pots gespannt sind, war dagegen. Der Versuch, Bewegung in die festgefahrene Situation zu bringen, endete Ende Januar mit dem Rücktritt Sihanouks als Präsident der Koalition. Gleichzeitig erklärte er seine Friedensverhandlungen mit Hun Sen als gescheitert und bot Vietnam direkte Gespräche an, was Hanoi jedoch ablehnte. Alle Diskussion über eine mögliche Lösung des Kambodscha– Problems enden regelmäßig bei den Roten Khmer. Niemand kann sich vorstellen, daß die Roten Khmer in Campuchea jemals wieder politische Macht ausüben werden, niemand kann aber auch sagen, was aus der militärisch immer noch starken Guerilla–Organisation werden soll. Die Macht der Roten Khmer Die Roten Khmer sind nach wie vor das militärische Rückgrat der Widerstandskoalition gegen die Regierung in Phnom Penh. Sihanouks Guerillas stellen nur etwa 10.000 der rund 50.000 Kämfper des Bündnisses. Ihre militärische Stärke verdanken die Roten Khmer nicht zuletzt der finanziellen Unterstützung durch China. Nachdem vietnamesische Truppen ihrem Terroregime 1979 ein Ende gesetzt hatten, zogen sie sich in den Dschungel zurück, und man schätzt heute, daß die Roten Khmer das größte Waffenarsenal angesammelt haben und die schlagkräftigsten Guerillatrupps der Region unterhalten. Die Regierung in Phnom Penh setzt alles daran, die Erinnerung an die Greuel des Pol Pot–Regimes der Jahre 1975–79 wachzuhalten. Während der vier Jahre des „Steinzeitkommunismus“ der Roten Khmer sind in Kambodscha vermutlich 1,5 bis zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen. Die Folterkammern des Regimes können heute als Museum besichtigt werden. Massengräber wurden geöffnet, um die Gebeine der Ermordeten würdig zu bestatten. Die letzten unbestätigten Be richte über den Verbleib von Pol Pot stammen von einem chinesischen Diplomaten, der 1986 behauptete, Pol Pot sei Lehrer an einer geheimen Guerilla–Schule im kambodschanischen Dschungel. Nach Aussagen des Diplomaten werde Pol Pot von der heutigen Führung der Roten Khmer noch immer als „Ratgeber“ geachtet. Bestärkt werden diese Aussagen durch die Hochschätzung, die Pol Pot heute noch in dem von den Roten Khmer geleiteten Flüchtlingslager „Site 8“ an der thailändisch– kambodschanischen Grenze genießt. Daraus und auch aus den Erklärungen des Khmer–Sprechers Khieu Sampahn, einem früheren engen Mitarbeiter Pol Pots und heutigen Außenminister der Exil– Regierung, haben sowohl Sihanouk wie die Regierung in Phnom Penh den Schluß gezogen, daß sich die politische Orientierung der Roten Khmer seit 1979 nicht grundsätzlich geändert hat. Mitarbeiter von ausländischen Hilfsorganisationen berichten über fortwährende Menschenrechtsverletzeungen in den Lagern der Roten Khmer. Flüchtlingen, die aus den „Flüchtlingslagern“ fliehen wollten, drohe die Hinrichtung. Kenner der Lage in Campuchea befürchten, daß die alte Garde der Roten Khmer sich die Macht schnell wieder zurückerobern würde, falls die Vietnamesen aus Phnom Penh abzögen. Diese alte Garde, die nach wie vor die Unterstützung der Chinesen genießt, ist nur vordergründig von den Greueln Pol Pots abgerückt. Mit Sihanouks Rücktritt Ende Januar verlor die Widerstandskoalition ihre international anerkannte Gallionsfigur - doch nicht für lange. Am Montag widerrief der für sprunghafte Entscheidungen bekannte 70jährige Prinz seine „unwiderrufliche“ Rücktrittserklärung. Sowohl Son Sann, als auch Khieu Samphan, der Führer der Roten Khmer, hätten ihn dazu gedrängt - verständlich, denn sie brauchen ihn nicht nur als Aushängeschild gegenüber dem westlichen Ausland, sondern auch wegen seiner nach wie vor großen Popularität bei vielen Campucheanern. Neue Gespräche mit Hun Sen, so kündigte Sihanouk gleichzeitig an, könnten im November oder Dezember stattfinden. Doch bis dahin ist noch viel Zeit für neue Überraschungen.