Die arabische Welt und der „Krieg der Steine“

■ Die Furcht vor dem Aufstand der Palästinenser macht nicht an den Grenzen Israels halt: Jordanien verhängt Vorbeugehaft gegen palästinensische Aktivisten / Gefängnis für Demonstranten in Kuwait, Marokko und Ägypten / Palästinensische Flüchtlinge im eigenen Land sollen stillgehalten werden

Von Beate Seel

Als der amerikanische Außenminister George Shultz am Wochenende in Amman, Damaskus und Kairo für seine Nahost–Initiative warb, stieß er in seltener Einhelligkeit auf die Ablehnung seiner Gesprächspartner. Die drei Nachbarstaaten Israels, die gemeinhin von „gemäßigt“ (Ägypten) bis „radikal“ (Syrien) apostrophiert werden, sind sich auch in einer anderen Frage weitgehend einig: Solidaritätsdemonstrationen mit dem palästinensischen Aufstand in den israelisch besetzten Gebieten haben auf den Straßen nichts zu suchen. Protestkundgebungen, die dennoch abgehalten wurden, führten zu Verhaftungen. In Jordanien und Ägypten, wird die Zahl der festgenommenen Palästinenser bereits auf mehrere hundert geschätzt. Presseberichten zufolge verschwanden in Kuwait 250 Palästinenser hinter Gefängnismauern; in Marokko sollen gar sechs Demonstranten getötet worden sein. Namentlich in Jordanien ist seit einigen Wochen eine regelrechte Verhaftungswelle im Gange. Zu den inhaftierten Palästinensern zählen nicht nur mindestens zwei Dutzend Sympathisanten der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) des George Habbasch, sondern auch besonders aktive Bewohner der Flüchtlingslager. Der Geheimdienst geht dabei fast immer nach dem gleichen Muster vor. Nachts gegen ein Uhr dringen Sicherheitsbeamte in die Häuser oder Wohnungen ein und verschleppen ihre Opfer. Mit dem Vorgehen im Schutze der Dunkelheit soll jedes Aufsehen vermieden und zugleich sichergestellt werden, daß die Gesuchten auch zuhause sind. Die Verhaftungswelle scheint genau geplant zu sein. In der Regel kommt es zu ein oder zwei Festnahmen pro Nacht. Da den Verhafteten keine konkreten Vergehen zur Last gelegt werden, scheint es sich um eine präventive Maßnahme zu handeln, mit der Solidaritätsaktionen mit der Aufstandsbewegung in den besetzten Gebieten zuvorgekommen oder Kontaktaufnahme von Palästinensern mit ihren Landsleuten jenseits des Jordan verhindert werden sollen. Nervosität unter den Flüchtlingen Die Atmosphäre unter den über 800.000 palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien ist zunehmend angespannt. Im Gegensatz zu den Landsleuten, die in die jordanische Gesellschaft integriert sind, lebt der größte Teil der Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen in den Lagern. Größere Proteste sind jedoch nicht zu erwarten, da auch radikale Lagerbewohner verhindern wollen, daß Palästinenser gegen Palästinenser kämpfen. Denn die jungen Männer werden seit Jahren verstärkt zum Dienst in der jordanischen Armee herangezogen. Im Falle einer Konfrontation würden sie ihren Eltern und Geschwistern gegenüberstehen. Die erste größere illegale Solidaritätsdemonstration für den Aufstand in den besetzten Gebieten wurde jedoch nicht von den Palästinenserorganisationen, sondern von Fundamentalisten organisiert. Am 13.Februar mobilisierten sie 250 Studenten auf dem Campus der Universität von Amman. Mit Parolen gegen die auch vom jordanischen König Hussein geforderte internationale Nahost– Friedenskonferenz und Slogans für den Kampf gegen Israel zogen sie während der vorlesungsfreien Mittagszeit eine knappe Stunde durch das Universitätsgelände. Im Gegensatz zu stundentischen Kundgebungen in der nordjordanischen Stadt Irbid vor zwanzig Monaten setzte die Staatsführung diesmal nicht ihre Beduineneinheiten gegen die Demonstranten ein. In Irbid waren damals 20 Studenten zu Tode geprügelt worden. Diesmal griff der Sicherheitsdienst zu „moderneren“ Methoden der Repression: In Amman wurden die Demonstranten fotografiert und in der darauffolgenden Nacht verhaftet. Teilnehmern einer Protestdemonstration gegen diese Festnahmen am nächsten Tag erging es in der kommenden Nacht genauso. Wie auch die Palästinenser, sitzen die Studenten nicht in Gefängnissen, sondern sind in der Geheimdienstzentrale in Amman untergebracht. In der jordanischen Presse und den internationalen Agenturen wird darüber mit keinem Wort berichtet. Stattdessen heben die jordanischen Medien vor allem die Soldidaritätsspenden für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten hervor. Das Geld dient jedoch vor allem dazu, den jordanischen Einfluß unter den Palästinensern in der Westbank zu stärken - als politisches Kapital für den Fall, daß es zu einer gemeinsamen israelisch–jordanischen Verwaltung kommen sollte. Kein Wunder also, daß sich die Palästinenser dort häufig zwischen dem israeli schen Hammer und jordanischen Amboß zerrieben fühlen. Berichterstattung zwiespältig Die Probleme, die der palästinensische Aufstand den arabischen Regierungen bereitet, läßt sich am Beispiel der Berichterstattung gut nachvollziehen. In Jordanien wurden Bilder von Auseinandersetzungen in den besetzten Gebieten immer weiter eingeschränkt, bis nur noch ein Standfoto als Hintergrund für die Äußerungen eines Kommentators übrig blieb. Bloß keine steinewerfenden Palästinenser auf dem Bildschirm, scheint die Devise gewesen zu sein. Mittlerweile ist man in Amman jedoch zu einer realistischeren Darstellung zurückgekehrt. Im benachbarten Syrien, das sich gerne als Speerspitze im Kampf gegen Israel geriert, ist die Berichterstattung zwar ausführlich, aber sorgfältig von unliebsamen Äußerungen der Palästinenser auf dem Bildschirm gesäubert. So bleibt es den Zuschauern überlassen, den Lippenbewegungen der Demonstraten zu entnehmen, ob sie gerade mal wieder „Es lebe die PLO“ rufen. Denn Syriens Präsident Hafez al Assad und PLO–Chef Yassir Arafat sind nach wie vor zerstritten. Auch wenn in den Straßen von Damaskus Parolen wie „Alles für den Aufstand“ oder „Der Aufstand ist das Symbol der Standfestigkeit und des Sieges“ zu lesen sind und gar eine einzelne Soldiaritätsveranstaltung der PFLP offiziellen Segen erhielt, möchte das Assad–Regime, ähnlich wie König Hussein oder Hosni Mubarak, eine Konfrontation zwischen den eigenen Sicherheitskräften und Palästinensern vermeiden. Bei derartigen Auseinandersetzungen könnten sich leicht unliebsame Parallelen zu Israels Umgang mit den Demonstranten in den besetzten Gebieten aufdrängen. Den Palästinensern in den Flüchtlingslagern entgeht die Kluft zwischen den Bildern steinewerfender Jugendlicher und den fehlenden eigenen Ausdrucksmöglichkeiten keineswegs. Sie fühlen sich häufig hin– und hergerissen zwischen dem Stolz über den Aufstand und der Frustration über die eigene Ohnmacht. Daher läßt das brutale Vorgehen Israels, „der einzigen Demokratie im Nahen Osten“, gegenüber den Palästinensern in den besetzten Gebieten auch die demokratische und linke Opposition in den arabischen Staaten Hoffnung auf bessere Zeiten schöpfen.