Brüsseler Spitzen mit leichten Rissen

■ Bis zu Beginn des NATO–Gipfels Uneinigkeit zwischen den 16 hochrangigen Demonstranten politischer Geschlossenheit

Aus Brüssel Andreas Zumach

Zur Demonstration politischer Geschlossenheit angesichts wachsender Differenzen haben sich die Staats– und Regierungschefs der 16 NATO–Staaten gestern im Brüsseler Hauptquartier der Allianz versammelt. An dem Medienspektakel mit über 1.600 JournalistInnen ist zum erstenmal seit 1966 mit Francois Mitterrand und Jaques Chirac auch Frankreich wieder vertreten. Konkrete Beschlüsse zu einzelnen Waffensystemen oder gar das seit Juni 87 angekündigte „umfassende Rüstungskontrollkonzept“ sind von diesem 7.NATO–Gipfel nicht zu erwarten. Eine spektakuläre Auseinandersetzung über die beabsichtigte „Modernisierung“ der nuklearen Kurzstreckenwaffen wollen die NATO–Chefs möglichst vermeiden. Aber selbst die Abfassung allgemeiner Kommuniques bereitet Schwierigkeiten. Sie sind in der Regel vorher fertig. Doch üÜber die für gestern vorgesehene Erklärung zu den Prinzipien konventioneller Rüstungskontrolle gab es bis zu Beginn des Gipfels keine Einigung. Bei dem Streit geht es um die Interpretation der Formel „vom Zusammenhang“ der verschiedenen Bereiche Rüstungskontrolle und Abrüstung, den die NATO–Außenminister im Juni 87 in Reykjavik geprägt hatten. Bonn besteht auf einem engen Zusammenhang zwischen Rüstungskontrollgesprächen über die konventionellen und die nuklearen Kurzstreckenwaffen. Großbritannien und die USA lehnen diesen Zusammenhang ab. Das Gipfeltreffen soll heute nachmittag mit einer Abschlußerklärung und separaten Pressekonferenzen des NATO– Generalsekretärs sowie der einzelnen Regierungschefs enden. Während anläßlich des letzten NATO–Gipfels im Juni 1982 in Bonn noch 500.000 Menschen gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles demonstrierten, findet das Brüsseler Treffen zwar zahlenmäßig geringere, dafür aber hochqualifizierte Aufmerksamkeit in der Friedensbewegung. Verschiedene Friedensorganisationen und -forscher belegten auf einer Pressekonferenz mit Dokumenten, daß aller Abrüstung zum Trotz tatsächlich weitere Aufrüstung auf der Tagesordnung steht: „Nach Umsetzung des Mittelstreckenvertrages werden sich insgesamt über 1.300 Nuklearwaffen mehr in Westeuropa befinden als vor seiner Unterzeichnung“, faßte Dan Plesch vom alternativen „Britisch–Amerikanischen Sicherheitsrat“ die laufenden Rüstungs– und „Modernisierungs“–Programme bei nuklearen Kurzstreckenwaffen sowie see– und luftgestützten Systemen zusammen. In den USA würden derzeit die Voraussetzungen geschaffen, die Sprengköpfe der Pershing II und Cruise Missiles für neue Waffen wiederzuverwenden.