I N T E R V I E W Keine Kluft zwischen Gewerkschaften und SPD

■ Trotzdem verteidigt der nordrhein–westfälische Kultusminister Hans Schwier Lafontaines Vorschlag zur Umverteilung von Arbeit und Einkommen bei Lehrern und höheren Beamten; Arbeitszeitverkürzung führt zu Neueinstellungen

taz: Die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst sind vorerst gescheitert. Wird Ihrer Meinung nach überhaupt in die richtige Richtung verhandelt? Hans Schwier: Die Gewerkschaften haben eingangs der Verhandlungen gesagt, wir wollen 5 Prozent, und die könnt ihr Arbeitgeber verteilen auf Arbeitszeitverkürzung oder Gehaltserhöhung. Dieses Prinzip halte ich für richtig. Ihr Parteifreund Oskar Lafontaine ist gerade heftig für seine Thesen zur Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich bei den höheren Einkommen im Öffentlichen Dienst von den Gewerkschaften, der ÖTV angegriffen worden. Solch einen Vorschlag habe ich ja schon einmal vor Jahren von meinem Vorgänger übernommen, allerdings gezielt auf eine bestimmte Berufs– und Einkommensgruppe - und das muß man immer deutlich machen. Das ist so schwierig deshalb, weil von einem solchen Vorschlag in der Öffentlichkeit immer nur eine Gesamtaussage wahrgenommen wird, und die stößt auf Widerspruch. Glauben Sie tatsächlich, daß es bei der aktuellen Debatte um Lafontaines Thesen nur um Mißverständnisse geht? Denn er hat ja explizit von höheren Einkommen gesprochen, denen kein Lohnausgleich bezahlt werden sollte bei Arbeitszeitverkürzung. Er hat ja - und das hat mich sehr an meinen Vorschlag erinnert - gesagt, wenn wir im Saarland jeden Lehrer zwei Stunden weniger arbeiten lassen und das daraus resultierende verminderte Einkommen auf die anderen verteilen, dann haben wir im Saarland keine arbeitslosen Lehrer mehr. Ob diese Rechnung ganz aufgeht weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall haben sie dann erheblich weniger arbeitslose Lehrer. Meine Rechnung lautete vor drei Jahren, wenn jeder Lehrer eine Stunde weniger gibt, macht das im Schnitt vier Prozent weniger Gehaltsanstieg. Wenn es einen Anstieg von Null Prozent gibt - das weiß ich ja während der laufenden Tarifverhandlungen nicht - dann wäre es rein rechnerisch ein Minus von vier Prozent. Dafür kann ich dann 6.000 junge Lehrer mehr bezahlen. Das Volumen an Arbeit ist das gleiche, das Volumen an Ausgaben ist das gleiche, nur eben umverteilt. Jetzt beziehen sie aber die Arbeitslosen mit ein, und darauf zielte meine Eingangsfrage: Umverteilung von Arbeit zugunsten der Arbeitslosen und damit von Einkommen. Richtig. Nun hat aber der Sprecher des Bundesinnenministers gesagt, Arbeitszeitverkürzung Null - dies halte ich für falsch -, dann bleibt am Ende die Forderung nach fünf Prozent Einkommenssteigerung, und das ist arbeitsmarktpolitisch unsinnig. Wenn ich Verhandlungsführer gewesen wäre, hätte ich zunächst versucht, über die fünf Prozent zu reden, die mir aus der Finanzlage Nordrhein– Westfalens heraus zu hoch erscheinen. Danach geht es doch nur noch um die Frage, wie das dann verteilt wird. Mein Interesse als Minister, der Menschen beschäftigt, die nicht in der unteren Hälfte der Einkommensgruppe im Öffentlichen Dienst liegen, ist natürlich darauf gerichtet, soviel wie möglich neue junge Lehrerinnen und Lehrer einstellen zu können. Ich hätte natürlich ein Interesse an Null Prozent Gehaltssteigerung, aber an soviel wie möglich aus der Arbeitszeitverkürzung resultierende Neueinstellungen. Wer kann das denn überprüfen, die öffentlichen Haushalte müssen doch sparen, und besteht nicht die Gefahr, daß da dann statt umverteilt gespart wird? Das kann man innerhalb der öffentlichen Haushalte überprüfen. Da wird genau festgelegt, daß jeder eingesparte Anteil auch wieder für diesen Zweck verwendet wird. Sie können davon ausgehen, daß sich die Haushaltsexperten des Kulutsministeriums und die des Finanzministeriums da ganz scharf gegenseitig auf die Finger schauen. In den letzten Jahren ist übrigens nie mehr der Zweifel geäußert worden, daß diese freiwilligen Reduzierungen tatsächlich diesem Zweck, Neueinstellungen, zugeführt worden sind. Kann man Ihre Vorschläge auch auf andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes mit höheren Einkommen anwenden? Ja. Das geht überall da im Öffentlichen Dienst, wo man Teilzeitarbeit machen kann. Denn jede Form von Teilzeit ist ja so ein Stück Umverteilung von Arbeit und Einkommen. Es ist noch gar nicht so lange her, etwa 15 Jahre, da hieß es, Teilzeitarbeit im Beamtenverhältnis ist verfassungswidrig. Gibt es angesichts der jetzt entfachten Diskussion um Lafontaines Vorschläge eine neue Kluft zwischen Teilen der SPD und den Gewerkschaften? Nein. Das glaube ich nicht. Das einzige, worüber man sicher streiten kann, ist, ob das Öffentlichmachen solcher Gedanken mitten in einer Tarifauseinandersetzung der richtige Zeitpunkt ist. Aber man kann sich als Politiker nicht immer den Zeitpunkt aussuchen, wo etwas öffentlich wird, was man gedacht, geschrieben, gesprochen hat. Das Gespräch führte Max Thomas Mehr