Schweiz: AKW Kaiseraugst beerdigt

■ Bürgerliche Parlamentarier fordern Verzicht / Großer Beifall seitens der Atomlobby / Das Aus für den unpopulären Symbol–Meiler soll offenbar die atomare Option retten / Volksabstimmungen zuvorgekommen?

Aus Basel Thomas Scheuer

Erst vor wenigen Wochen lösten die Betreiber des seit bald 15 Jahren in der Nordwestschweiz heftig umstrittenen AKW Kaiseraugst in der Region große Unruhe mit der Ankündigung aus, auf dem vorgesehenen Baugelände mittels Tiefbohrungen die Beschaffenheit des Untergrundes zu erkunden. Einen versteckten Baubeginn hatten Atomgegner sogleich darin gewittert. Nun haben statt dessen am Mittwoch in Bern Abgeordnete der bürgerlichen Regierungsparteien überraschend gefordert, das Projekt Kaiseraugst endgültig zu beerdigen. Die Regierung wird zu unverzüglichen Verzichts– und Entschädigungsverhandlungen mit der KKW Kaiseraugst AG aufgefordert. Die überraschende Forderung wurde von Abgeordneten vorgetragen, die sich in den letzten 20 Jahren stets vehement für den Ausbau des Atomprogramms in der Schweiz ganz allgemein und konkret für das AKW Kaiseraugst eingesetzt hatten und „es auch im Jahre 1988 noch als notwendig erachten“, wie der Zürcher SVP– Nationalrat Blocher als ihr Wort führer klarstellte. Was auf den ersten Blick als sensationelle Kehrtwende erscheint, entpuppt sich denn auch schnell als gut kalkulierte Kapitulation vor der Macht des Faktischen: Bei einer realistischen Beurteilung der Lage, so Blocher, die im übrigen auch von der Energiewirtschaft geteilt werde, könne mit dem AKW–Bau nicht vor fünf bis zehn Jahren begonnen werden. Als Folge dieses „faktischen Moratoriums“ würden sich die bisher in den Sand gesetzten Ausgaben von über 1,3 Mrd. Mark bis 1995 auf gut drei Mrd. erhöhen, ohne daß diesen Kosten irgendein wirtschaftlicher Nutzen gegenüberstehe. Schon vor Jahren vermuteten Kritiker des Projekts, daß die Betreiber das Genehmigungsverfahren für Kaiseraugst nur noch weiterverfolgten, um bei eventuellen Verzichtsverhandlungen mit dem Staat größtmögliche Entschädigungen herauszuschlagen. Denn die Chancen für eine Realisierung des Symbol–Meilers waren ganz mies: Im April 1975 stoppten auch hier Atomgegner per Platzbesetzung die Bagger. In die Verfassungen der beiden Kantone Basel– Stadt und Basel–Land, an deren Grenze die Atomfabrik (im Nachbarkanton Aargau) stehen sollte, wurden per Volksabstimmung Anti–Atom–Artikel aufgenommen. Die ökonomischen Prognosen gaben dem Projekt den Rest. Der Kaiseraugst–Verzicht der drei bürgerlichen Mehrheitsparteien ist keine generelle Kehrtwende in der Atompolitik. Er soll offenbar die öffentliche Debatte über die atomare Option von einem unpopulären Markenzeichen befreien und wurde von der „Schweiz. Vereinigung für Atomenergie“ (SVA) denn auch gleich als Weg „aus der politischen Blockade“ begrüßt, der die Prüfung anderer Standorte ermöglichen sollte. Denkbar auch, daß die Atomlobby dem bevorstehenden neuen Energiegesetz sowie zwei Anti–Atom– Volksabstimmungen Wind aus den Segeln nehmen will: Die eine will ein Moratorium, die andere gar den generellen Ausstieg aus der Atomwirtschaft in die Bundesverfassung drücken. Beiden werden große Chancen eingeräumt. Beide sind allgemein gehalten, zielten quasi als Notbremse aber offen gegen das konkrete Projekt Kaiseraugst. Dieses deutliche Ziel ist jetzt vom Tisch.