Der Krieg ist noch lange nicht vorbei

■ Trotz drohender Abschiebung von Tamilen aus Europa, versuchen ständig neue Flüchtlinge Sri Lanka zu verlassen / Im „Friedensabkommen“ zugesicherte größere Autonomierechte erweisen sich als Farce

Aus Colombo Biggi Wolff

Mit Erschrecken und Unglauben ist die Entscheidung des holländischen Staatsrates, wonach Abschiebungen von Tamilen möglich werden sollen, von der tamilischen Bevölkerung und von einheimischen Menschenrechtsorganisationen aufgenommen worden. Denn Sri Lanka, die 16 Millionen–Insel, gleicht einem Vulkan. Kein Tag vergeht, an dem nicht aus der Hauptstadt Colombo oder dem Süden des Landes ein politischer Mord gemeldet wird. Trotz der angespannten Lage in Colombo treffen dort weiterhin täglich tamilische Flüchtlinge aus dem Norden und Osten des Landes ein. Sie fliehen vor den indischen Soldaten, deren Anzahl die lankanische Zeitung The Island mittlerweile auf mehr als 100.000 beziffert. Die Gastfreundschaft der in Colombo angesiedelten Tamilen wird seit Beginn der indischen Offensive im Oktober 1987 auf eine harte Probe gestellt. Viele Einfamilienhäuser gleichen kleinen Flüchtlingslagern, in denen selbst Fußbodenplätze belegt sind. Vor allem Frauen und Kinder sind vor den Übergriffen der Truppen geflohen. Die Männer versuchen die Stellung in den Häusern zu halten, damit diese nicht zu Militärcamps umfunktioniert werden. Anfang der Woche erklärte der indische Verteidigungsminister K.C. Pant, der Norden und Osten Sri Lankas seinen „zur Normalität zurückgekehrt, mit einigen verbliebenen Widerstandsnestern im Osten“. Doch Hunderte von tamilischen SchülerInnen, die bei ihren Verwandten in Colombo untergekrochen sind, haben seit Monaten keine Schule mehr besucht. Zahlreiche - ebenfalls in den Süden geflohene - LehrerInnen haben sich krankmelden oder beurlauben lassen. Die Flüchtlinge berichten, daß im Norden und Osten seit Monaten keine Behörde mehr richtig funktioniere. Hunderte von Tamilen verbringen ihre Tage in Colombo damit, Reisebüros, Agenten und ausländische Botschaften aufzusuchen, um - „wohin auch immer“ - auszureisen. Die Hoffnung, die nach dem „Friedensabkommen“ zwischen Indien und Sri Lanka im Juli 1987 aufgekeimt war, ist endgültig dahin. Statt den Krieg zwischen der tamilischen Guerilla und den lankanischen Streitkräften zu beenden, befinden sich die Inder jetzt im Krieg mit den „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE). 3.500 „Tigers“, so sagte Indiens Verteidigungsmninister diese Woche, seien noch übriggeblieben, jedoch „nur wenige vom harten Kern“. Tägliche, überraschend verhängte Ausgangssperren und Razzien der Inder im Norden und Osten, den Heimatgebieten der Tamilen, machen einen „normalen“ Alltag für die Zivilbevölkerung unmöglich. Allein die aus diesen Gebieten täglich offiziell gemeldeten Toten - Zivili sten, Soldaten, LTTE–Kämpfer - stellen die Morde im Süden zahlenmäßig weit in den Schatten. Am Donnerstag sagte ein Militärsprecher, als Soldaten verkleidete Bewaffnete hätten 16 Menschen, darunter neun Kinder, in einem Dorf im Nordosten getötet. „Bis zu 100.000 Rupien werden zur Zeit für einen Paß und das Ticket ins Ausland bezahlt“, sagte eine junge Tamilin, die schon monatelang versucht, zu ihrem Mann nach Frankreich auszureisen. Das sind etwa 6.000 Mark, das Gehalt eines mittleren Angestellten in Sri Lanka in vier Jahren. Häufig verschwinden die Agenten mit dem Geld, ohne die Gegenleistung zu erbringen. Die restriktiven Ein reisebestimmungen möglicher Fluchtländer treiben die Preise in die Höhe und machen es fast unmöglich, legal in den Besitz eines Visums zu gelangen. Die Reiserouten werden immer exotischer. Meldungen über die Abschiebeabsicht einiger europäischer Länder werden aus lauter Verzweiflung schlicht ignoriert. In Colombo verstärkt sich die Spannung durch die Flut von Tamilen aus dem Norden des Landes. „Wir haben jetzt die paradoxe Situation, daß Tamilen, die bei den Pogromen 1983 aus Colombo in den Norden geflohen waren, in die singhalesischen Gebiete zurückkehren müssen“, sagt Selvathurai, ein tamilischer Ingenieur aus Jaffna, der nach Kanada will. Bundesdeutsche Asylrichter hatten jahrelang mit der gewagten These von der „inländischen Fluchtalternative für Tamilen in den Norden“ ihre ablehnenden Asylbescheide begründet. Erstmalig erklärte der indische Verteidigungsminister diese Woche offen, seine Truppen müßten noch für längere Zeit auf Sri Lanka bleiben. „Die nationale Ehre Indiens steht auf dem Spiel.“ Indische Oppositionspolitiker dagegen kritisierten letzte Woche die Militäroperationen als „Auslöschung der Tamilen durch die Indische Armee auf Befehl Rajiv Gandhis, der Weisungen von (Sri Lankas) Präsident Jayewardene in Empfang nimmt.“ Sie nannten die geplanten Provinzratswahlen, die ursprünglich als Schritt zur Machtdezentralisierung zugunsten der tamilischen Bevölkerungsminderheit gedacht waren, zum jetzigen Zeitpunkt eine „Farce“, denn 500.000 Tamilen seien aus dem Norden und Osten Sri Lankas geflohen. Die größte Oppositionspartei in Sri Lanka selbst, die SLFP von Frau Bandaranaike, hat diese Woche zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Von einer Zusammenlegung des Nordens und Ostens, von der im „Friedensabkommen“ die Rede ist, spricht Präsident Jayewardene schon lange nicht mehr. Die marxistische Tamilenorganisation EROS (Eelam Revolutionary Organisation) weist auf die 500.000 Tamilen im Teehochland hin, denen noch immer Staatsbürgerschaft und Wahlrechte vorenthalten werden. Die singhalesisch– chauvinistische JVP, die für die Mehrzahl der Morde im Süden verantwortlich gemacht wird, lehnt jegliche Zugeständnisse an die Tamilien ab. Jayewardene erklärte am Montag, aufgrund der anhaltenden Unruhen würden die Provinzratswahlen, die für April geplant sind, im Norden, Osten und Süden verschoben. Obwohl die Frist für Nominierungen am 9. März verstreicht, hat außer der regierenden UNP (United National Party) keine andere Partei Kandidaten aufgestellt.