Rita Süssmuths feuerrotes AIDS–Mobil

■ Mit dem Frühling ziehen in diesem Jahr mobile AIDS–Beratungs“zentren“ in bundesdeutsche Städte ein / PR–Experten planen Aufklärung für die „Allgemeinbevölkerung“ / Auch bayerische Städte von Süssmuths Spezialisten nicht verschont

Aus Heidelberg Doris Burger

Sie schlendern gemütlich durch die Fußgängerzone einer bundesdeutschen Kleinstadt, besichtigen die neueste Frühjahrsmode der vorletzten Saison. Da haut Sie ein adrett gekleideter junger Mann an und lädt Sie ein zur unverbindlichen AIDS–Information ins „Mobile Kommunikationszentrum“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „In fünf Minuten beginnt die nächste Videoshow, kommen Sie näher, treten Sie ein! Ja, alles gratis, auch die Broschüren kosten nichts. Greifen Sie zu, bedienen Sie sich!“ Auf dem Marktplatz ist das große Zirkuszelt aufgebaut, die Vorderfont einladend weit geöffnet. Hätten Sie ordentlich Ihre Lokalzeitung gelesen, wären Sie nicht so überrascht, die Aktion wurde ausführlich angekündigt. Drei baugleiche AIDS–Informations–“Zentren“ werden, bestückt mit einer elfköpfigen Crew, ab Mai durch die Bundesrepublik tingeln, die AIDS–Experten werden auch ganz in Ihrer Nähe Station machen. Rita Süssmuth will ihre Aufklärungskampagne intensivieren. Die neue Form dafür ist das „niedrigschwellige Beratungsangebot auf der Vor–Ort–Ebene“. Kommt der Kunde nicht in die Ämter, muß das Amt eben zum Kunden kommen. Bevorzugt in Kreisstädten mit etwa 50.000 Einwohnern wird das Mobile Kommunikationszentrum aufgebaut. AIDS hat jeden anzugehen. Bevorzugte Zielgruppe werden potentielle Multiplikatoren sein, Lehrer, Ärzte, Sozialarbeiter, Betriebsräte. Daneben gibt es die unverbindliche und anonyme Bera tung im Zentrum, Gespräche für jedermann und jederfrau. Durchgeführt werden die Aktionen von einer Crew vor Ort, aber im Hintergrund ist ein enormer Organisationsstab beschäftigt. Das Beraterteam wird seine „umfassende qualifizierte Ausbildung“ (Zeit–Annonce) im vierwöchigen Schnelldurchlauf bekommen. Die Schulung beginnt noch in diesem Monat, am 21.März. 1.000 Leute hatten sich auf die Anzeige vom 18.Dezember gemeldet. Tausend Leute, die gerne gegen ein „den hohen Anforderungen entsprechendes Gehalt“ (BAT 2) als Reisende in Sachen AIDS tätig werden wollten. Letztlich eingeladen wurden drei mal 30 zur Information und zum Gespräch. Daß die Informationen für die Bewerber nur bruchstückhaft und teilweise widersprüchlich herausgegeben werden, scheint kein Zufall zu sein. Die Konzeption wird gegenwärtig lau fend verändert. Wie das Ganze schließlich in der Praxis aussehen wird, weiß noch keiner so genau. Geplant und duchgeführt wird das Spektakel von drei Public–Relations–Agenturen, zwei in Frankfurt, eine in Düsseldorf. Um den großen Auftrag von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu erhalten, haben sie sich zu einer „Arbeitsgemeinschaft AIDS Kommunikation“ zusammengeschlossen, und das, obwohl sie „normalerweise Konkurrenten“ sind. Aber bei 50 Mio. Gesamtetat für AIDS–Aufklärung pro Jahr (BzgA) kann man schon mal an einem Strang ziehen. Leipziger & Partner ist mit 90 Mitarbeitern die größte der beteiligten Agenturen. Ihre Hauptkunden waren bislang die Hoechst AG, der Frankfurter Flughafen, der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie. Jetzt verkaufen sie AIDS–Aufklärung. Auf dem Reißbrett haben sie ein wunderschönes Kommunikationsmodell entworfen: Die „Information“ kommt von der laufenden Kampagne, die „Dialoge“ werden durch die „intensive Kommunikation“ hergestellt, beides zusammen erzeugt dann „nachhaltige Betroffenheit und Einsicht“ und bewirkt letztlich „Verhaltensänderung“. Und die ist so dringend erwünscht wie nie zuvor. Die Regierung gerät mit ihrem Süssmuth–Kurs in Zugzwang, sollte sich nicht bald in den Umfragen meßbar verändertes Verhalten feststellen lassen. Denn der „Erfolg“ der bisherigen Aufklärungskampagnen wird verstärkt von politischen Saubermännern aus Bayern, Seuchenrechts– Fanatikern und Zeitungsjournalisten angezweifelt. Vor diesem Hintergrund ist die Kampagne verständlich. Sie ist auch ein Werbefeldzug für die relativ liberale Süssmuth–Linie. Auch Bayern wird dabei nicht ausgespart. Eines der wichtigsten Ziele ist der Abbau von Hysterie, durch Infomation sollen „Wege aus der Angst“ aufgezeigt werden. „An sich ein richtiger Ansatz“, wie auch ein Mitarbeiter der Deutschen AIDS– Hilfe in Berlin bestätigt. Zur Unterstützung des Konzeptes werden neben den hauptamtlichen Dialog–Experten Vier–Wochen–Ausbildungen, 120 Nebenberufler mit Zwei–Wochen–Programmen vorbereitet; die Basis dieses Multiplikatoren–Modells sind schließlich die „an AIDS interessierten Laien“ mit dem Vier– Tage–Kursus. Auch diese 300 sollen dazu beitragen, die Republik flächendeckend mit der richtigen Botschaft zu penetrieren. Aus dem ursprünglichen Motto „AIDS: Laß uns drüber reden“ wurde der Slogan: „Reden/Verstehen/Verantworlich handeln“. Auf die Verständigung mit der Deutschen AIDS–Hilfe haben die PR–Profis allerdings verzichtet. Obwohl die AIDS–Hilfen über einen enormen Vorsprung in Sachen Kompetenz verfügen, wurden sie an der inhaltlichen Ausgestaltung nicht beteiligt. Lediglich zur Präsentation des vorläufigen Konzeptes der Agenturen beim Auftraggeber in Bonn wurden Mitarbeiter der AIDS–Hilfe geladen. Die Aufgabenteilung zwischen BzgA und AIDS–Hilfe weist letzteren die Hauptbetroffenengruppen zu. Um diese sollen sie sich schwerpunktmäßig kümmern, auch wenn sich die Trennung in der Praxis nicht durchführen läßt. Die Bundeszentrale behält sich dagegen die „Allgemeinbevölkerung“ vor. Und die wird sich der geballten Aufklärungsmaßnahmen spätestens im Wonnemonat nicht mehr entziehen können.