Ruhmreicher Muttertag in der Sowjetunion

■ Zum Internationalen Frauentag gratuliert die Prawda den „ruhmreichen Töchtern der Heimat“ / Bei den Lebens– und Arbeitsbedingungen der sowjetischen Frauen bisher keine Spur von „Perestroika“ / Selbstbestimmung nur minutenweise

Aus Moskau Alice Meyer

Am 8. März, dem internationalen Frauentag, bleibt das an offiziellen Feiertagen sonst übliche abendliche Feuerwerk aus. Das „Pulver“ wurde bereits am 23. Februar, dem „Tag der Armee“, für die Väter verschossen. Möglich auch, daß sich die Ehegatten, Freunde und Söhne an den drei Tagen vor dem Fest beim Schlangestehen vor den Blumenläden schon völlig verausgabt haben. Die „ruhmreichen Töchter“ der Heimat dagegen reihen sich ein vor Korbwaren aus Vietnam, und sie betreten auch einmal den „Weinladen“, um den vor den Feiertagen angebotenen Wein oder Wodka zu erstehen. Der „Kauf rausch“ wird noch angeheizt durch die wie Pilze aus dem Boden schießenden genossenschaftlichen (“Koop“–)Läden, die Gutes, aber Teures für den Festtagstisch anbieten. Die vom 4. bis 6. März abgehaltenen Jahrmärkte in den Stadtbezirken, auf den z.B. private Blumenverkäufer das Fünffache des staatlichen Preises verlangen, offerieren dem Verbraucher auch Überschußprodukte aus Kolchosen zu fast schon staatlichen Preisen. Das immer noch gültige Bild der Sowjetfrau als Schwer– und Schwerstarbeiterin zeichnete kürzlich im hiesigen Fernsehen ein Film von 1940: Eine Frauen– Brigade in einer Fischereikolchose beschämte die Männer, weil sie das Produktionssoll übererfüllte. Am Schluß des Films richten sie einen Aufruf an das Volk und rufen dazu auf, ihrem Beispiel zu folgen. Unter vielstimmigem Gesang schwimmen die Fischkutter mit den Frauen unter vollen Segeln in eine ruhmreiche Zukunft. Wie fröhlich die Frauen damals tatsächlich mit schweren Fangnetzen hantierten, als Gleisbauarbeiterinnen die Schwellen schleppten, Bäume fällten oder Stahl gossen, mag der eigenen Phantasie überlassen bleiben. Nachwirkungen dieser Konzeption von Gleichberechtigung sind in der UdSSR bis heute sichtbar: etwa das Straßenteeren oder das winterliche Schneeräumen. Die offizielle sowjetische Statistik schweigt sich über die Anzahl derjenigen berufstätigen Sowjetfrauen, die schwere körperliche Arbeit verrichten, aus. Ein Anruf beim Zentralverband der sowjetischen Gewerkschaften (WZSPS) hilft kaum weiter. Angaben für 1987 „liegen noch nicht vor“, aber es gibt Zahlen für 1986. „Nach unseren Unterlagen“, so teilt der technische Inspektor für Arbeitsschutz beim WZSPS, A.A. Lewschin mit, verrichten zur Zeit mehr als 340.000 Frauen schwere körperliche Arbeit. Aber die Zahl derjenigen Frauen, deren Arbeitsbedingungen nicht den Normen und Regelungen des Arbeitsschutzes entsprechen, übersteigt noch heute vier Millionen... In der Sowjetunion liegt die Frauen–Erwerbsquote so ziemlich auf Welthöchststand. Nur sieben Prozent der Frauen im Berufsalter arbeiten nicht. Nach offiziellen Angaben sind 77Prozent der LehrerInnen Frauen, 70Prozent der ÄrztInnen, 84Prozent der Beschäftigten in Handel und Verkauf, 68Prozent bei Post und Telekommunikation. Die Bezahlung in diesen (weiblich dominierten) Bereichen liegt selten bei mehr als 100 Rubeln (280 Mark) monatlich. Zum Thema Doppel– und Mehrfachbelastung gibt es in der UdSSR neue statistische Erhebungen. Die Arbeitszeit der berufstätigen Frau beträgt 7,57 Stunden. Rechnet man An– und Rückfahrten, Einkäufe, Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Hausarbeit aller Art dazu, bleiben den Sowjetfrauen jeweils nur noch Minuten für Spaziergänge, Kultur, „gesellschaftliche Arbeit“ und die Beschäftigung mit den Kindern. In den sowjetischen Kindergärten und Schulen wird an diesen Tagen in Feierstunden das Hohelied auf die Mutter gesungen. Fast schon makaber, daß auch diese Veranstaltungen von Frauen vorbereitet werden.