Bremer Schulen besetzt

■ SPD–Bildungssenator sorgt mit geheimem Schulschließungskonzept für Verärgerung bei SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen / Zwei Schulen betroffen

Aus Bremen Klaus Schloesser

In der einen Hand einen Strauß bunter Luftballons, in der anderen einen Stapel weißer Flugblätter. Auf dem kleinen Vorplatz des Einkaufszentrums in der Bremer Innenstadt, schräg gegenüber vom Puff, bilden GymnasiastInnen mit tütenbewehrten PassantInnen kleine Menschentrauben. Von Zeit zu Zeit dringen Ausrufe der Empörung oder des Einverständnisses aus dem Kreis der Diskutanten. „Die Hamburger Straße darf nicht platzen“ steht auf den Luftballons und auf den Flugblättern steht, was mit „Hamburger Straße“ gemeint ist. Der Einfachheit halber heißen in Bremen alle Schulen so wie die Straße, in der sie stehen. In der Hamburger Straße steht die letzte gymnasiale Oberstufe für die Stadtbezirke Peterswerder, Altstadt und Ostertor. Noch gehen hier rund 500 SchülerInnen zur Penne und fürchten, sie werden die letzten sein. Zu Recht, wie ein von der taz veröffentlichtes „Standortentwicklungsprogramm für die Schulen in der Stadtgemeinde Bremen - STEP 88“ des Schulsenators Horst Werner Franke belegt, von dem SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen eigentlich noch gar nichts wissen dürfen. Erst für den 18.März, einen Tag vor den Osterferien, hatte Senator Franke die Veröffentlichung von STEP angekündigt. Selbst der Schulleiter des Gymnasiums Hamburger Straße, Wilfried Stille, erfuhr erst aus der taz, daß die Schließung seiner Schule in der Behörde beschlossene Sache zu sein scheint: „Mit mir hat bislang weder der Senator noch ein Vertreter der Schulbehörde geredet.“ Stille geht es nicht besser als seinen Bremer Kollegen im Schulzentrum „Lange Reihe“ oder „Bördestraße“, deren Schließung laut „STEP 88“ ebenfalls geplant sind: Seit Wochen fallen dem Senator immer neue Vorwände, Ausflüchte und Terminengpässe ein, wenn SchulleiterInnen, ElternsprecherInnen oder StadtteilpolitikerInnen bei ihm um ein Gespräch über die Zukunft ihrer Schule nachsuchen. Ein paar Oberschulräte, die mit der Ausarbeitung des Schulstandortkonzeptes befaßt waren, haben bei schulpolitischen Diskussionsveranstaltungen striktes „Auftrittsverbot“, einige handverlesene SPD–BildungspolitikerInnen aus Landtags– und Stadtteilfraktionen bekamen „STEP 88“ nur unter der Maßgabe „Maulhalten“ und zucken pflichtgemäß mit den Achseln, wenn Fragen nach drohenden Schulschließungen laut werden. Seit Samstag haben die SchülerInnen an der Hamburger Straße das Warten auf offiziöse Gewißheiten satt. Prophylaktisch haben sie ihre Schule für eine Woche besetzt. Vormittags läuft der Unterricht ganz normal weiter, nachmittags ziehen die SchülerInnen mit Tapeziertischen und Info–Zetteln in die Innenstadt, organisieren Spiel–und Schminknachmittage für Kinder, Rock–Besetzerfeten für die, die hier noch Abitur machen sollen und Diskussionen mit den Eltern. Im Arbeiterviertel Walle ließ Schulleiter Dr. Hans Brinkmann am Samstag ein eigenhändig verfaßtes Flugblatt gegen die geplante Schließung „seiner“ Schule verteilen. Das Schulzentrum Bördestraße, drittes im Bunde der Schließungsbedrohten, ist seit Montag ebenfalls von den SchülerInnen besetzt. Auf die Solidarität der SPD mit den Schulen und gegen die Pläne des SPD–Senators Franke können alle drei Schulzentren rechnen. Alle drei SPD–Unterbezirke in Bremen haben sich vorsorglich bereits gegen Schulschließungen in ihren Stadtteilen ausgesprochen. „Über das Schulzentrum Lange Reihe gibt es überhaupt nichts zu verhandeln. Die Schule bleibt! Schluß, aus!“ kündigte der Partei–Unterbezirksvorsitzende für den Bremer Westen, Peter Sakuth, entschiedenen Widerstand gegen die mutmaßlichen Pläne seines Parteifreundes und Senators an. „Die Hamburger Straße muß erhalten bleiben“, fordert sein Vorstandskollege im Bremer Osten, Armin Stolle. Und im Bremer Norden gibt es die gleichen Stimmen für den Erhalt des Schulzentrums Bördestraße. Was alle Bezirke besonders ärgert: Während der Senator in ihren Bezirken sparen und Schulen dicht machen will, soll im piekfeinen Oberneuland gleichzeitig ein neues und obendrein „bilinguales Gymnasium“ mit Unterrrichtssprache Englisch entstehen, das für Waller Arbeiterkinder schon allein aufgrund seiner Lage unerreichbar bleiben dürfte: Rund eine Dreiviertelstunde Straßenbahn–Fahrt trennen die kleinen Einfamilienhäuschen im Bremer Westen von den Oberneuländer Villen am östlichen Ende der Stadt. In zehn Tagen will Bildungssenator Franke sein schulpolitisches „Standort–Entwicklungsprogramm“ auch offiziell zur Diskussion stellen. Ein SPD–Landesparteitag soll es im Juni endgültig absegnen.