I N T E R V I E W „Angst vor der eigenen Courage“

■ Thomas Meyer, Hauptverfasser des SPD–SED–Papiers, zur „Kultur des politischen Streits“

taz: Der Ost–Berliner Dozent an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, Frank Berg, hat sich Bezüge zwischen den Verhaftungen in der DDR und dem SED–SPD–Papier verbeten und als Einmischung in innere Angelegenheiten bezeichnet. Wird die gemeinsame Stellungnahme dadurch nicht zum Papiertiger? Thomas Meyer: Ich weiß auch nicht genau, was er gesagt hat. In dem Papier ist eine Einheit von innerem Dialog in beiden Gesellschaften und äußerem Dialog zwischen den beiden Gesellschaften vereinbart. In dem Papier wird ganz klar festgelegt, daß Kritik an Vorgängen im anderen System auch in scharfer Form nicht als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen werden dürfte. Freimut Duve hat eine Kulturreise der SPD in die DDR platzen lassen. Kommt nach dem politischen Frühling im letzten Sommer jetzt die Eiszeit? Ich finde das, was Duve gemacht hat, richtig. Wir müssen das Recht behalten, auch außerhalb des offiziellen Programms Kontakte aufzunehmen, dieses Recht haben DDR–Gruppen, die zu uns kommen auch. Das ist in dem Papier so vorgesehen. Es sieht im Moment so aus, als würde sich der Prozeß der politischen Streitkultur nach der Logik der Echternacher Springprozession bewegen: Zwei Schritte vor, einen zurück. Ich kann nur hoffen, daß die Bewegung nicht - wie bei Lenin - „Einen Schritt vor, zwei zurück“ wird. Wir haben keine Garantien, das es Fortschritte in die richtige Richtung geben wird. Wir haben nur Hoffnungen und Argumente. Sind denn weitere Treffen mit der SED in nächster Zeit vorgesehen oder herrscht erstmal Funkstille? Nein, das geht weiter. Die Grundwertekommission der SPD und die Akademie der Gesellschaftswissenschaften in der DDR wird noch im ersten Halbjahr über das Thema „Dritte Welt“ diskutieren. Dabei werden wir sicher die jetzigen Vorgänge in der DDR und den Zusammenhang mit unserem Papier gründlich erörtern. Es gibt Stellungnahmen aus Ost–Berliner Kirchenkreisen, nach denen die Ereignisse der letzten Tage „neben der politischen Linie“ lägen. Ich habe den Eindruck, daß es im Moment eine offizielle, längerfristig verläßliche Linie gar nicht gibt. Ich glaube, daß es einen Mangel an konzeptionellen Überlegungen im Zusammenhang mit dem Papier gegeben hat, und das jetzt, nach den ersten Öffnungen in der DDR und Dialogen Hilflosigkeit herrscht, vielleicht auch Angst vor der eigenen Courage. Interview: Stefan Schönert