Es gab keine IRA–Bombe

■ Nach dem Dementi des britischen Außenministers: Entsetzen in Dublin und Schüsse in Belfast / Howe sucht nach Gründen für Mord an IRA–Leuten

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Politiker aller irischen Parteien haben gestern mit Entsetzen auf die Erklärung des britischen Außenministers Howe reagiert, nach der das Auto der drei in Gibraltar erschossenen IRA–Mitglieder entgegen ursprünglichen Behauptungen keinen Sprengstoff enthalten habe. Howe hatte vor dem Unterhaus in London seine frühere Version dementiert, man habe eine 450–Pfund–Bombe vor dem Regierungssitz in der britischen Kronkolonie gefunden. Die irische Regierung forderte volle Aufklärung der Umstände, die zur Erschießung der unbewaffneten IRA–Leute führten. In West– Belfast, der Heimat der IRA–Einheit, kam es in der Nacht zum Dienstag zu schweren Zusammenstößen zwischen den Bewohnern des katholischen Wohnviertels und der Polizei. Howe hatte am Montag abend außerdem behauptet, die IRA– Leute hätten „verdächtige Bewegungen“ gemacht, wodurch die Einheit der SAS–Spezialtruppe sich bedroht gefühlt habe. Augenzeugen erklärten dagegen, daß die in Zivil gekleideten Soldaten das Feuer aus kürzester Entfernung ohne Vorwarnung eröffnet hätten. Nach den Todesschüssen seien die SAS–Soldaten in Polizeiwagen gesprungen und davongefahren. Erst später sei die örtliche Polizei am Tatort aufgetaucht. Nachdem Howe zugegeben hatte, daß die IRA–Bombe nicht existierte, fuhr er unbeirrt fort, die Morde mit dieser Bombe zu rechtfertigen: „Wäre die Bombe explodiert, hätten 50 Soldaten und hunderte Zivilisten ums Leben kommen können. Zweifellos wurde ein furchtbarer terroristischer Akt verhindert.“ Fortsetzung Seite 6 Angeblich suchen Polizei und SAS in der britischen Kronkolonie nach einem vierten IRA–Mitglied, sowie nach einem zweiten Auto, das die verschwundene Bombe enthalten soll. Sowohl Sprecher der Labour Party, als auch der Sozialliberalen gratulierten der Regierung zu ihrem „Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus“. Der ehemalige Außenminister der Republik Irland, Peter Barry, sagte dagegen, daß die Briten es einem schwer machten, an britisches Gesetz zu glauben. Schnell hinrichtungen hätten keinen Platz in einer Gesellschaft, die vorgibt, das Gesetz zu respektieren. Sinn– Fein–Präsident Gerry Adams nannte Howe einen „Lügner“. Der SAS habe genau gewußt, daß die IRA–Leute unbewaffnet gewesen seien. Dublins Regierungschef Haughey wollte mit einer Stellungnahme warten, bis die offizielle Nachrichtensperre in Gibraltar aufgehoben werde. In Belfast brannten bei Straßenschlachten über 30 Busse und Autos aus. An mehreren Stellen im Westen der Stadt nahmen Heckenschützen britische Armeepatrouillen unter Beschuß. Die Behörden in Gibraltar wußten bereits seit vier Wochen von dem Aufenthalt der IRA– Einheit in Gibraltar. Die irische Polizei hatte Einzelheiten über falsche Pässe, die von zwei der ermordeten IRA–Leute in der Vergangenheit benutzt worden waren, an Interpol weitergegeben. Diese beiden gehörten zu den erfahrensten Mitgliedern der IRA. Mairead Farrell (31) verbrachte zehn Jahre im Gefängnis für einen Bombenanschlag auf ein Hotel. 1980 trat sie mit anderen Gefangenen in den Hungerstreik für die Anerkennung als politische Gefangene. Danny McCann (30) war seit seiner Jugend IRA–Mitglied. Im letzten Jahr erhielt er Morddrohungen von der britischen Armee, die ihm ein Holzkreuz überreichte, in das sein Name eingraviert war.