Mord an Thälmann erneut vor Gericht

■ SS–Oberscharführer Otto (76) war in der ersten Instanz zu vier Jahren Haft verurteilt worden / BGH hob das Urteil auf

Aus Düsseldorf J. Nitschmann

Der Mord der Nazis an dem Kommunistenführer Ernst Thälmann wird jetzt erneut ein bundesdeutsches Gericht beschäftigen. In einem Revisionsverfahren muß sich der pensionierte Lehrer und ehemalige SS–Oberscharführer Wolfgang Otto (76) aus Kleve vom morgigen Donnerstag an vor der 17.Strafkammer des Landgesrichts Düsseldorf wegen der Beihilfe zum Mord an Thälmann verantworten. Nach sechsmonatiger Verhandlungsdauer war Otto vom Krefelder Landgericht im Mai 1986 zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil es die Richter als erwiesen angesehen hatten, daß der Angeklagte den Tötungsbefehl für Thälmann als Leiter der Schreibstube im KZ Buchenwald weitergeleitet und somit wesentliche Vorbereitungen für die Hinrichtung getroffen habe. Ohne einen noch lebenden Augenzeugen des Tatgeschehens, alleine aufgrund der mitunter sehr widersprüchlichen Vernehmungsprotokolle längst verstorbener Tatzeugen, war die Krefelder Strafkammer am Ende der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß der Angeklagte bei der Erschießung Thälmanns „in irgendeiner Form“ dabei gewesen sein müsse. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hatte das Krefelder Urteil jedoch keinenBesttand, es wurde in vollem Umffange aufgehoben und zur Revisionsverhandlung an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Diese Verständnisbereitschaft und Nachsicht des BGH empört den in diesem Strafprozeß für die Thäl mann–Tochter Irma als Nebenkläger auftretenden Rechtsanwalt Heinrich Hannover: Gerade jener BGH–Senat, der das Urteil gegen Otto nunmehr aufgehoben habe, sei es gewesen, der sämtliche Revisionsgründe gegen die lebenslängliche Strafe für das ehemalige RAF–Mitglied Peter–Jürgen Boock zurückgewiesen habe. Im Falle seines Mandanten Boock, so sagt Hannover, wäre er schon zufrieden gewesen, „wenn das Revisionsgericht sich überhaupt Gedanken über die Möglichkeit eines anderen Geschehnisablaufs gemacht hätte“. Schließlich hatte Otto auch vor Gericht nicht abgestritten, im Jahre 1944, wo Thälmann in der Nacht vom 17.zum 18.August 1944 hinterrücks erschossen und anschließend im Krematorium verbrannt worden war, in Buchenwald Dienst getan zu haben. Dagegen war Boock alleine aufgrund seiner damaligen RAF–Mitgliedschaft wegen der Beteiligung an der Erschießung des bundesdeutschen Arbeitgeber–Präsidenten Hans–Martin Schleyer zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt der Tat drogenkrank in Bagdad aufgehalten hatte. Neue Beweismittel gegen den Angeklagten Otto sind in dem Düsseldorfer Revisionsverfahren nicht mehr zu erwarten. Der ehemalige polnische Häftling Marian Zgoda, der die Thälmann–Hinrichtung heimlich aus einem Luftschacht beobachtet hat und später von Otto erfahren haben will, daß es sich dabei um den prominenten Kommunistenführer gehandelt habe, ist längst verstorben. Der andere unmittelbare Zeuge, Werner Fricke, ein ehemaliger Stan desbeamte im KZ Buchenwald, demgegenüber sich Otto mit der Thälmann–Erschießung sogar gebrüstet haben soll, ist wegen Senilität nicht mehr vernehmungsfähig. Die Düsseldorfer Strafkammer wird also letztlich alleine die Frage zu entscheiden haben, ob sich Otto schon aufgrund seiner Funktion als Schreibstubenleiter der Mordbeihilfe an Thälmann schuldig gemacht hat. Die Indi zienkette für eine direkte Tatbeteiligung des Angeklagten erscheint arg dünn, zumal sich auch die verstorbenen Belastungszeugen in ihren Aussagen erheblich widersprechen. Eine Geschichtsklitterung hat das Gericht in Krefeld freilich ausräumen können: Die von der SS seinerzeit erfundene Darstellung, Thälmann sei bei einem amerikanischen Luftangriff auf das Konzentrationslager Buchenwald ums Leben gekommen, ist während der Beweisaufnahme eindeutig als Legende entlarvt und überzeugend widerlegt worden. An der Erschießung des Kommunistenführers „Teddy“ Thälmann durch die Nazis gibt es seit dem Krefelder Verfahren keinen vernünftigen Zweifel mehr - nicht einmal für den Bundesgerichtshof.