I N T E R V I E W „Als Jüdin bin ich hier weniger denn je zuhause“

■ Ilse Aschner, jüdische Widerständlerin aus Wien, konnte 1939 aus Österreich fliehen und kam 1946 nach Wien zurück

taz: Frau Aschner, wie haben Sie den 11.März vor fünfzig Jahren erlebt? Ilse Aschner: Ich war damals zwanzig Jahre alt, habe bei meinen Eltern in Wien gewohnt und war im 3. Semester an der Universität. Wir hatten schon in der Universität ganz üble Erfahrungen gemacht, wo die Nazi–Studenten in den letzten Wochen äußerst frech aufgetreten sind, Schlägertrupps unterwegs waren und jüdische Studenten gejagt haben. Zu denen auch Sie gehörten. Meine Eltern waren evangelisch, ich selber bin als Säugling evangelisch getauft worden. Daß wir als Juden galten, habe ich erst im Zusammenhang mit den Nürnberger Gesetzen erfahren. Als die Nacht des Einmarsches kam, waren wir sehr verzweifelt. Wir saßen die ganze Nacht am Radioapparat und haben die Reportagen verfolgt. Da gab es genaue Beschreibungen, wie sich die deutschen Truppen Wien näherten und über den Jubel der Bevölkerung. Dann die berüchtigte Kundgebung drei Tage später am Heldenplatz. Die war ein ganz besonderer Schock für uns, denn es hatte etwa eine Woche vor dem Anschluß eine riesige österreichische Kundgebung gegeben. Die Regierung Schuschnigg hat sich an die illegale Sozialdemokratie gewandt, wollte mit ihr zusammenarbeiten, um das Schlimmste abzuwehren. Es war eine wahn sinnig große Kundgebung, wie ich das nie wieder gesehen habe, wo die ehemaligen Feinde, christlich Soziale und Sozialdemokraten, nebeneinander marschierten für die Souveränität Österreichs. Und dieselben Menschenmassen, die wir dort gesehen hatten, die dann am Heldenplatz gestanden sind und Heil Hitler geschrieen haben. Da war mir klar, daß das österreichische Volk keinen Widerstand leisten wird, und daß Österreich sich überhaupt nicht als Opfer betrachten kann. Das ist ja unser heutiges Problem, daß wir diese historische Lüge in Österreich unbedingt aufrechterhalten wollen. Frau Aschner gelingt es ein Jahr später, nach England zu fliehen. Ihre beiden Eltern kommen im KZ um. Warum kamen Sie 1946 zurück? Wir waren eine Gruppe kommunistischer Jugendlicher, und wir waren der Ansicht, in einem befreiten und hoffentlich demokratischen Land wird man Leute wie uns brauchen. Wir waren, muß ich jetzt rückblickend sagen, voller Illusionen. Niemand hat auf uns gewartet, niemand hat es für nötig befunden, sich mit uns näher zu befassen. Immer wieder, auf der Straße, bei alten Bekannten, wo immer man gegangen und gestanden ist, hat man gehört „Na ja, ihr habt es euch leicht gemacht, habt euch in Sicherheit gebracht, und wir haben hier gelitten unter dem Krieg.“ Was mich schon damals sehr aufgeregt hat, denn unsere Sicherheit war ja eine Frage von Leben oder Tod. Zweitens hatte man eine Abneigung gegen Juden. Das hat geschwelt in Österreich. Man konnte immer sagen, es gibt keinen Antisemitismus in Österreich, bis zu dem Zeitpunkt, als die Waldheimgeschichte aufgebrochen ist. Mein Gefühl ist in diesem Land weniger denn je, daß ich hier zu Hause bin. Haben Sie jemals überlegt, nach England zurückzukehren? Ich habe Kinder und Enkelkinder hier, und es würde mir sehr hart vorkommen, dorthin zurückzukehren. Und jetzt kommt es mir so vor, als ob ich eine neue Aufgabe hätte mit gleichgesinnten Freunden, die ja gottseidank wie eine Lawine jetzt anwachsen: den Kampf gegen diesen Rassismus, der hier herrscht, und nicht nur gegen Juden. Wie finden Sie die Gedenkfeiern, die in den nächsten Tagen ablaufen werden? Mir wäre ein stilles Gedenken wesentlich lieber gewesen. Ein verordnetes Gedenken bringt überhaupt nichts. Ich werde mich zur Kundgebung des „Republikanischen Club/ Neues Österreich“ sicherlich einfinden. Das sind Leute, mit denen ich mich als einzigen in Österreich zu identifizieren vermag. Das Gespräch führte Antje Bauer