Gedenken und Versöhnung

Aus Wien Antje Bauer

„Vor 50 Jahren war Otto von Habsburg der Vorkämpfer für Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit. Dank seiner Arbeit erstand Österreich wieder. Heute ist Otto von Habsburg der Vorkämpfer für die Integration eines freien, unabhängigen Österreichs in die Europäische Gemeinschaft“, so steht es auf dem Plakat. Weiter unten wird der lesende Passant zu einer Kundgebung des Vorkämpfers geladen; eine von vielen, die um das Gedenken an den Anschluß Österreichs an das Dritte Reich stattfinden: Es ist für jeden etwas da. Nach zwei Jahren der Auseinandersetzungen um Waldheim, die Österreich in Waldheim–Befürworter und seine Gegner zu spalten schienen, treten nun wieder die alten politischen Gruppierungen zutage und zeugen von österreichischem Geschichtsbewußtsein. Da hält die konservative „Österreichische Volkspartei“, Nachfolgerin der Christlich–Sozialen aus der Zeit vor dem Anschluß, in der Wiener Votivkirche eine Gedenkmesse ab. Da spricht das „Republikanische Österreich“ in den Personen von Ex– Bundeskanzler Bruno Kreisky und dem Wiener Bürgermeister Helmut Zilk vor dem Rathaus, da veranstaltet die Israelische Kultusgemeinde einen Gedenkmarsch von der Synagoge zum nahegelegenen Morzinplatz, wo damals die Gestapo ihr Hauptquartier eingerichtet hatte. In der Gemeinsamkeit des Gedenkens durfte auch der ungeliebte Bundespräsident nicht fehlen: Als Zuckerl für den Verzicht auf eine Rede beim Staatsakt in der Hofburg sprach er am Donnerstag abend im Fernsehen zu seinen Landsleuten. Die Rede hatte schon im Vorfeld heftiges Interesse geweckt, da Waldheim sich zum Ghostwriter ausgerechnet Peter Sichrowski, engagierten Sohn einer Familie von jüdischen Widerständlern, erkoren hatte. Waldheim werde allenfalls Teile des Redeentwurfs übernehmen, war gemunkelt worden, und der Autor werde den vollen Text hinterher veröffentlichen lassen. Der Stern wußte es dann ganz genau: Kein Wort der Vorlage wurde gesprochen. Dennoch schien die Rede selbst die Gerüchte zu bestätigen: Wie Waldheim sich bei den Opfern für das österreichische Mitmischen entschuldigte, das wirkte nicht, als sei es in der Hofburg verfaßt worden. Doch im Vordergrund stand der altbekannte Tenor: Versöhnung statt Spaltung, der Text ließ keine Zweifel an der Beständigkeit der präsidentialen Linie aufkommen. Auch auf dem Wiener Rathausplatz, wo Kreisky sprach, war am Donnerstag abend von Versöhnung die rede. 70.000 Teilnehmer hatte man erwartet, doch vor dem hellerleuchteten Gebäude, vor dem die rot–weiß–rote österreichische Fahne mit schwarzem Trauerflor herabhing, vertraten sich nur etwa 17.000 die Füße. Das Holzpferd des Bildhauers Alfred Hrdlicka (eine Anspielung auf Waldheims Mitgliedschaft in der SA–Reiterstandarte), das jenseits des Platzes grell erleuchtet auf die Existenz eines „anderen“ Österreichs hinwies, schien sich zu amüsieren. Die Pogrome, die bereits in der Nacht nach dem Einmarsch der Hitlertruppen begonnen und sich auf das jüdische Viertel in der Wiener Innenstadt konzentriert hatten, wurden vor drei Tagen unangenehm in die Erinnerung zurückgerufen: Da verschmierten Hakenkreuze den Gedenkstein am Morzinplatz. Es gebe nur wenige Neonazis in Wien, beeilte sich Tags darauf Polizeipräsident Bögl der taz zu versichern. Doch vor diesen wenigen muß in diesen Tagen die Erinnerung geschützt werden: Bewachung des Steins, Bewachung des Heldendenkmals vor der Hofburg. „Darum ist der Österreicher froh und frank, Trägt seinen Fehl, trägt offen seine Freuden, beneidet nicht, läßt lieber sich beneiden! Und was er tut, ist frohen Muts getan“. So zitiert am 11. März 1988 die Kronenzeitung den Heimatdichter Franz Grillparzer. Vor 50 Jahren hatte die Illustrierte Kronenzeitung den Anschluß freudig begrüßt. Und was sie tat, war frohen Muts getan.