Erinnerungsschub in Düsseldorf

■ Im Thälmann–Revisionsprozeß erinnert sich der Angeklagte plötzlich an eine Nacht im August 44 / Der zweite Tag im Prozeß um den Mord an dem KPD–Vorsitzenden gegen den früheren Lehrer Otto in Düsseldorf

Aus Düsseldorf J. Nitschmann

Am zweiten Verhandlungstag der durch die Revision erzwungenen Neuauflage des Thälmann–Prozesses vor dem Düsseldorfer Landgericht platzte gestern dem Angeklagten Wolfgang Otto (76) der Kragen: „Es muß doch nicht immer ich derjenige gewesen sein, der dabei war“, ruft der ehemalige SS–Oberscharführer dem Gericht erregt zu. Als die Richter der 17. Großen Strafkammer am Freitag die umfangreichen polizeilichen Aussagen des früheren KZ–Häftlings Marian Zgoda verlesen, der Otto bei dem Erschießungskommando für den Kommunistenführer Ernst Thälmann als Augenzeuge gesehen haben will, schüttelt der pensionierte Lehrer auf der Anklagebank unentwegt den Kopf: „Das stimmt doch nicht.“ Der im KZ Buchenwald als Leichenträger eingesetzte Zgoda wird in dem Thälmann–Prozeß nicht mehr aussagen können. Wie alle anderen unmittelbaren Belastungszeugen von Otto ist er mittlerweile verstorben. Bereits das Krefelder Landgericht hatte bei der Beweisaufnahme im ersten Verfahren vor der Schwierigkeit gestanden, auf Augenzeugen der Thälmann–Tötung nicht mehr zurückgreifen zu können. Dennoch hatte es den ehemaligen Kommandantur–Spieß Otto im Mai 1986 wegen der „erwiesenen Beteiligung“ am Mord des früheren KPD–Vorsitzenden zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach sechsmonatiger Beweisaufnahme waren die Krefelder Richter zu der Überzeugung gekommen, daß Otto als Leiter der Kommandantur– Schreibstube im KZ Buchenwald im August 1944 den Exekutionsbefehl für Thälmann weitergeleitet, das Hinrichtungskommando zusammengerufen und auch an dessen Erschießung „in irgendeiner Form“ teilgenommen habe. Den Bundesrichtern in Karlsruhe reichte der Tatnachweis ihrer Krefelder Kollegen nicht aus: Sie hoben das Urteil auf und ordneten eine Revisionsverhandlung vor dem Landgericht Düsseldorf an. Zu Beginn des Revisionsprozesses beteuerte Otto erneut, an der Tötung Thälmanns nicht beteiligt gewesen zu sein: „Ich war bei dieser Aktion nicht dabei. Ein Dokument mit dem Namen Thälmann habe ich nie gesehen, schon gar nicht auf meinem Schreibtisch.“ Im Gegensatz zur ersten Verhandlung in Krefeld konnte sich der ansonsten von erheblichen Gedächtnislücken geplagte Angeklagte überraschend erinnern, daß ihn seine Ehefrau im August 1944 anläßlich seines Geburtstags (23.8.) eine Woche lang besucht habe. Während dieser Zeit, in die Thälmanns Exekution fällt, sei er jeden Abend mit seinr Frau in einem Weimarer Hotel zusammengewesen, für seine Einheit uner reichbar. Der Anklage zufolge ist der Kommunistenführer in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 im Krematoriumskeller des KZ Buchenwald auf Befehl von Hitler hinterrücks erschossen und anschließend sofort verbrannt worden. Die in der DDR lebende Thälmann–Tochter Irma Gabel tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf. Ihr Rechtsanwalt Heinrich Hannover fragte den Angeklagten, warum er erst jetztmit dieser Version aufwarte - ausgerechnet nachdem der Bundesgerichtshof gefordert hatte, daß für eine Verurteilung Ottos dessen Anwesenheit zur Tatzeit konkret nachgewiesen werden müsse. „Das ist ein Zufall“, antwortete der Verteidiger des Angeklagten lapidar. Hannover ist überzeugt, daß die vorliegenden Beweise für eine Verurteilung Ottos auch in der Revision ausreichen: „Sie haben in Krefeld ausgereicht, warum sollen sie hier in Düsseldorf nicht reichen?“