Laute Nacht und keine Polizei in Preungesheim

■ Eine autonome Aktion vor der JVA Preungesheim / Unzensierte Botschaften an Andreas Eichler und Reiner Hübner / Anwohner wollen „Ruhe, verdammt nochmal“ und greifen zur Selbsthilfe / Forderung von drinnen nach draußen: „Zugabe“

Vorm Knast Oliver Tolmein

„Zivi oder Hiwi?“ Die Frage wird Donnerstag nacht in Frankfurt– Preungesheim noch oft gestellt. Gelangweilt herumstehende Gestalten und herumkurvende Fahrzeuge, schnüffelnde Schäferhunde, nieselnder Regen und die grell angestrahlten Betonmauern der Justizvollzugsanstalt geben ein Szenario ab, in dem alles verdächtig erscheint. Und was verdächtig ist, könnte die Aktion, in die etliche Hilfskräfte Zeit und Geld gesteckt haben, gefährden - also handeln die wachsamen Autonomen lieber vorsichtig, als daß sie ihren Zeitplan einhalten. „Punkt zehn nach acht“ waren wir an den Wachturm des Preungesheimer Knasts beordert worden: daß dort Andreas Eichler und Reiner Hübner, die beide im Zusammenhang mit den tödlichen Schüssen an der Startbahn verhaftet wurden, einsitzen, war alles, was an Zusatzinformationen gegeben wurde. Wenn sich bis halb neun nichts getan habe, sei die Aktion abgeblasen, hatten wir noch gehört. Daran erinnert man sich dann minütlich: Bis acht Uhr 29 gibt es einen richtigen Frustcountdown, so daß wir den Musikeinsatz aus dem Irgendwo fast verpassen. Der plötzlich aufflackernde Scheinwerfer vom Wachturm, der uns voll ins Gesicht gehalten wird, beweist, daß es wirklich angefangen hat. Autonomes Feuerwerk überm Knast Pogoklänge und Grüsse von StartbahnkämpferInnen draußen an die Gefangenen nach drinnen passen in die akustische Landschaft um den Knast mit den Isolationszellen so gut wie eine Metallsäge zum Anstaltsessen. „Die haben einen Lautsprecherwagen“, tönt es vergleichsweise schwach aus einem Knastlautsprecher. In den Wachzimmern greifen etliche Hände zum Telefon, aber wirklich engagiert wirken nur die, sich ziemlich schnell aus den Fenstern lehnenden Anwohner: „Ruhe, verdammt nochmal!“ ist noch die freundlichste Bemerkung. Während die Polizei ratlos zu sein scheint, wie der Aktion zu begegnen ist, greifen die Anwohner zur Selbsthilfe. Nach etwas mehr als zehn Minuten bricht die Übertragung aus der Freiheit abrupt ab. Zwei Briefe an Reiner Hübner können nicht mehr verlesen werden. „Das war nur ein Lautsprecher auf dem Gerüst“, teilt der glückliche Finder der Polizei mit - und bringt sich damit um die Chance, seine Stereoanlage um eine exzellente Komponente und einen soliden schwarzen Booster zu bereichern. Und das bleibt nicht der einzige Ärger. „Jetzt sind meine Fingerabdrücke dadrauf“, kommt dem Selbsthelfer plötzlich als Erkenntnis. Und als ein anderer ein flac kerndes rotes Lämpchen an der Seite bemerkt, bezweifeln alle Umstehenden, daß es eine gute Idee war, die Anlage vom Gerüst geholt zu haben: „Vielleicht ist das ja ne Bombe, schnell, schickt die Kinder weg.“ Die bleiben aber und kommen in den Genuß von Teil zwei der gut organisierten Inszenierung: Über dem Knast geht ein Feuerwerk los, von dem amateurhafte Silvesterknaller nur träumen können. Mehr als dreißig Raketen liefern Farbenprächtiges bis plötzlich, auf der anderen Seite der JVA, wieder eine Stimme tönt: „Wir warnen die Polizei. Diese Anlage ist gesichert. Wenn jemand näher als zehn Meter an sie herankommt, stellen wir ein weiteres - nennen wir es mal Gerät - an, das unangenehme Auswirkungen hat.“ Aber die Warnung der Stimme geht ins Nichts: Die Polizei ist der zweiten Lärmquelle nicht auf der Spur. Nur die Besucher eines Chopin– Konzerts in der dem Knast gegenübergelegenen Kirche ahnen, daß irgendwas nicht stimmt: Der Pianist kann sich schon nach kurzem nicht mehr gegen die Mixtur aus Pink Floyd, Ton, Steine, Scherben und anderem behaupten, die den entscheidenden Teil der Kassette - einen Brief an Andreas Eichler - umranken. Wir helfen Dir, wenn... Andreas Eichler, der kaum Besuch bekommen kann, mit dem sonst nur durch eine Trennscheibe und unter Aufsicht des Landeskriminalamtes gesprochen werden kann, soll durch die Aktion über den Stand der Diskussion draußen informiert werden. Die Tonbandstimme sichert Eichler Solidarität zu, obwohl man draußen wisse, daß er etliche Leute belastet habe - vorausgesetzt, er sei bereit, diesen falschen Weg zu verlassen. Es gebe, kommt es weiter vom Band, draußen Leute, die bereit und in der Lage seien, ihn im Prozeß zu entlasten - das gehe aber nur, wenn Eichler nicht weiter mithelfe, Leute aus der Startbahnbewegung in den Knast zu bringen. Die Situation hat etwas Skurriles. Während vor der Kirche die ratlosen Chopin–Interessierten stehen, im Knast selber ratlose Wärter agieren und ab und zu das Blaulicht eines Streifenwagens durch die gutbürgerliche Wohngegend um die Kirche zuckt, tönt von oben her ruhig und unbeirrt die Stimme, die von den Betonmauern des Traktes, in dem Eichler und Hübner sitzen, als Echo zurückkommt. Während jede Kundgebung in Knastnähe schon nach wenigen Worten abgebrochen werden muß, kann diese Nacht eine Dreiviertelstunde lang unbehelligt über die Mauer gesendet werden. „Wir werden die Mauern, die uns trennen, einreißen - wenn wir stärker sind“, klingt es kurz vor Ende des Bandes über die Wiese. „Jawoll, sprengt den Knast in die Luft!“ Das Echo kommt diesmal aus etlichen Zellen. Und später hallt es unüberhörbar: „Zugabe, Zugabe!“ Stunden später an einem unbekannten Ort soll es ziemlich irritierte Gesichter gegeben haben: „Daß die den Lautsprecher nicht gefunden haben - kaum zu glauben.“ - „Die Bullen reagieren auf ungewohnte Anforderungen hilfloser, als man denkt.“ Nur daß Fotografen keine Fotos von ziellos auf der Suche nach Lautsprechern durch die Nacht irrenden Polizeieinheiten machen konnten - das fanden alle ein bißchen schade.