Späth fürchtet um die absolute Mehrheit

■ Nächsten Sonntag wird in Baden–Württemberg gewählt: Eine große Koalition scheint möglich / Von Dietrich Willier

Keine Frage, er steht vor einem rauschenden Wahlsieg, Lothar Späth, der aufgeklärte Despot über das reichste Land der Bundesrepublik. Doch ob es zur absoluten Mehrheit reicht, ist fraglich. Seine Kontrahenten und möglichen Partner sind eine SPD, die jetzt schon in vielem mit Späth einer Meinung ist, ein Verein zur Erlangung von Pöstchen namens FDP, und die Grünen, von denen einzelne zwar mit Späth liebäugelten, die sich als Partei aber als einziges Gegengewicht zur CDU im Land sehen.

Spaßig ist dieser Wahlkampf schon lange nicht mehr, und aggressiv sind nur die Außenseiter. Erstmals seit 16 Jahren droht einem CDU–Ministerpräsidenten in Baden–Württemberg der Verlust der absoluten Mehrheit. Lothar Späth, der quirlige Schwabe, der wie in der Geschichte vom Hasen und Igel immer schon da ist, wenn andere mit dem Laufen beginnen, Lothar Späth kämpft gegen alle und mit dem Rücken zur Wand. Wenn Ministerpräsident Späth jetzt mit Parolen wie „Unser Land in guter Hand“ wirbt, meint er die eigene, wenn er behauptet, dieses Land sei „Spitze“, so meint er sich selbst. Egal, welche Opposition, für ihn ist sie Staffage, die bestenfalls das politische Geschäft belebt. Er und das Volk, meint Späth, die paßten zusammen. Und so ist auch sein Wahlkampf. Späths Auftritte geraten zu Büttenreden über Weltwirtschaft, über Japaner, Amerikaner, Russen und die Brüsseler EG redet der Schwabe, als seien sie allesamt Nachbarn aus dem Reihenhaus nebenan. Das kitzelt die schwäbische Eitelkeit. Vorlaute Wortspielereien bringen die Lacher auf seine Seite: „Der isch wief ond des isch oiner von ons.“ „Ein dummes Gesicht“ mache er, meint Lothar Späth, sollten er und seine CDU die absolute Mehrheit dennoch verlieren. Allein seine Drohung, in einer Koalition womöglich nicht mehr als Regierungschef zur Verfügung zu stehen, könnte ihm die Alleinherrschaft jetzt noch erhalten. Mehr oder weniger deutliche Angebote zum Mitregieren hat Lothar Späth schon von allen Oppositonsparteien, von FDP, SPD und Grünen erhalten. Ob er das will, wenn er alleine nicht kann, läßt er bisher offen. Lothar Späth, und er allein ist die fast feudalistische Regierung im Südwesten, konnte in den vergangenen Jahren gar nicht so viele Fehler machen, daß ihm die Wähler das mehrheitlich übelgenommen hätten. Wenn er und seine CDU also am 20.März ihre absolute Mehrheit verlieren, dann nicht, weil die Oppostion im Lande ernsthaft erstarkt wäre, sondern weil einem Verein aus konservativer südbadischer CDU–Mafia und Bonner Steuerpolitiker die Karriere des Fünfzigjährigen gefährlich wird. Eine Koalition mit den liberalen Absahnern der Republik, das weiß Lothar Späth, wird seine wirtschaftspolitischen Ambitionen nicht behindern, aber die letzten Reste von sozialpolitischem Common sense zerstören - bis tief in den Arbeitnmehmerflügel der CDU. Eine Koalition mit der baden–württembergischen FDP - für deren schwäbische Rechtsliberalität längst nichts anderes mehr steht als das historische Gedenken an Theodor Heuss - wäre ein deutlicher Ruck in die 1/10– Gesellschaft zugunsten freidemokratischer Klientel. Beim Verlust der absoluten Mehrheit will Ministerpräsident Lothar Späth zum Frühlingserwachen mit allen Parteien reden, auch mit den Grünen. Doch soweit ist es noch nicht. Und ob Späths augenzwinkernde Vertraulichkeiten gegenüber zukünftigen Abgeordneten der Ökopartei etwas mit deren Vorschlag vom vergan genen Herbst - ihn, Späth zu tolerieren, und dann über wechselnde Mehrheiten mitzuentscheiden - zu tun haben, darf getrost bezweifelt werden. Parteiintern war ja dieser Grüne Beitrag zu neuer politischer Kultur schon damals gescheitert und von politischen Gegnern verspottet worden. „Verhau du die Sozis, dann verhau ich die FDP“ Schlitzohrig auf die eigene Mehrheit bedacht war wohl auch die jüngste Empfehlung Späths an den in der Provinz erfolgreichen Grünen Kandidaten Rezzo Schlauch zur gemeinsamen Wahlstrategie: „Verhau du die Sozis, dann verhau ich die FDP.“Wer wen verhaut, kontert der, jetzt ganz auf Oppositon getrimmt, sehen wir ja am Abend der Wahl - und dann keilt er nach allen Seiten. Dieter Spöri, Spitzenkandidat der SPD, drängt es wie die Mehrheit seiner Sozialdemokraten zur Macht und Verantwortung. Mit höchstens 35 Wahlprozenten ist das nicht zu schaffen. Was also läge da näher, als eine große Koaliton mit den Christdemokraten? In wirtschafts– und finanzpolitischen Fragen ist man sich längst nähergekommen. Späths sein erfolgreiches Werben in Moskau um Joint–Venture, um bessere wirtschaftliche Kooperation, die Entbürokratisierung von Handelsbeziehungen und Devisenausgleich mit der Sowjetunion machte die Sozialdemokraten kurzfristig sprachlos. Und wo Lothar Späth den Schwaben mit seiner Vision einer wohlhabenden High–Tech– Zukunft den Mund wässert, wirbt die SPD für den „neuen Fortschritt“. Innenpolitische Fragen lohnen derzeit, so scheint es, weder Themen noch Streit. Seit Oskar Lafontaines Vorstoß pochen auch die baden–württembergischen Sozialdemokraten gegenüber den Gewerkschaften auf Perestroika. Bei der Forderung nach Lohnverzicht Besserverdienender etwa stünde schon jetzt selbst einer Allparteienkoalition nichts mehr im Wege. Und daß Späth längst allergisch auf die pöstchenheischenden Anbiederungsversuche der Freidemokraten reagiert, käme einer „Elefantenhochzeit“ bestens entgegen. Bliebe die lauthals beschworene Aversion der Sozis gegen den verbalradikalen Rechtsausleger der CDU - Kultursminister und Fußballpräsident Mayer–Vorfelder. Doch gerade den „Schlagetot–Rhetoriker“, wie die Genossen ihn nennen, schreckt solcher Vorbehalt nicht. Die Sozialdemokraten sind nach seinem Bekunden durchaus fähig zur Koalition. Was, wenn nicht schiere Taktik, spricht also noch gegen einen schwarz–roten Verbund von wenigstens 80 Prozent Wählerstimmen? Dunkle Wolken aus Südwest Trotz riesiger Subventionen in Forschung und Wissenschaft, in High–Tech und schwäbische Großkonzerne, trotz gewaltiger Exportüberschüsse und Moskau– Connection, - mit der baden– württembergischen Traditionsindustrie, meinen staatlich finan zierte Wirtschaftsprognosen, gehts künftig im Stammland der Tüftler bergab. Allein im mittleren Neckarraum, so eine Studie, werden in den kommenden Jahren 30.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert, 25 bis 30 Prozent aller baden– württembergischen Metallarbeitsplätze sollen es bis zur Jahrtausendwende sein. Daß es einem ehrgeizigen Wirtschaftspolitiker wie dem CDU–Ministerpräsidenten alleine gelingen wird, im Verein mit Industrie, Kommunen und Gewerkschaften Ersatz zu schaffen, darf bezweifelt werden. Erst recht, wenn wegen EG–Beschlüssen stillgelegte Kleinbauern sich dem Frührentnerdasein verweigern. Es wird also jemanden brauchen, der Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit Bedrohte und Gewerkschaften in Schach oder bei politischer Laune hält. Und wer könnte das besser, wer hätte da mehr Erfahrung, als gerade die SPD. Schon für die kommende Landtagswahl wird ja damit gerechnet, daß die Zahl der Unzufriedenen, die den platten Losungen der „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“– Sekten nachlaufen werden, um das Sieben– bis Achtfache ansteigt - 3,5 bis 4 Prozent immerhin. Und ein weiterer Rechtsruck, das weiß auch die CDU, ist ihrem Arbeitnehmer– und Yuppieflügel nicht zumutbar. Am Horizont: die große Koaltion Ganz ohne Ironie, eine große Koaltion in Baden–Württemberg wäre unter den möglichen Konstellationen sicher die beste. Das pfeifen zwar auch die Spatzen schon von den Dächern, nur von den Betroffenen sagt das keiner. Mit Bedacht. Lothar Späth schweigt sich aus, weil er damit seine absolute Mehrheit schon vor der Wahl los wäre, weil ein solches Vorabzugeständnis an die politische Vernunft zum endgültigen Zerwürfnis mit seinen Bonner Oberen führte, und weil seine Landespartei ohnehin beschlossen hat, nicht zu koalieren. Die Heimlichtuerei der Sozialdemokraten leuchtet da weniger ein. Sicher, das SPD–Spitzentandem Dieter Spöri und Ulrich Maurer ist angetreten, den sozialdemokratischen Muff im Lande zu lüften, ein neuer Fortschritt soll Arbeit und Umwelt miteinander versöhnen, Ökologie soll zum ökonomischen Faktor werden und die Solidarität zwischen Besitzenden und Habenichtsen gefördert werden. Statt den großen „Neins“ der Verweigerung leuchten mit blauen Augen die großen „Jas“ in die Zukunft. Man will Profil gewinnen, in Wahlkampfveranstaltungen treten die großen Moralisten Walter Jens und Norbert Greinacher auf. Und wie sollte das alles überzeugen, bei einer Koaltionszusage an die CDU? Die SPD–Basis ist in der Koalitonsfrage gespalten, und die Jusos polemisieren schon jetzt heftig dagegen. Die nach vielen Jahren neuerwachte Begeisterung der Sozuialdemokraten für ihre Partei wäre schnell wieder verpufft. Und den Grünen, die den „neuen Fortschritt“ eh für einen alten Hut halten, wäre es Wasser auf die eigenen Mühlen. Also bleibts bei dem Wahlziel der SPD, die absolute Mehrheit der Christdemokraten nach 16 Jahren zu brechen, auch auf die Gefahr hin, daß dann eine FDP auf der Regierungsbank sitzt. Da habens die Grünen gut. Sie werden trotz der Querelen in der Bundespartei wieder auf acht Prozent kommen. Sie können getrost und mit phantasievollen Aktionen eine Domäne der CDU, den ländlichen Raum, beackern. Sie können kompromißlos konsequente Oppositionspolitik machen. Sie könnten, wenn sie wollten, doch gerade das bestreitet manch einer von ihnen.