Nigeria erwacht aus seinem Erdöltraum

■ In Lagos wurden große Hoffnungen in den Weizsäcker–Besuch gesetzt: Das volkreichste Land Südafrikas stöhnt unter der Last der Schulden und dem niedrigen Ölpreis

Aus Abidjan Knut Pedersen

Nigeria, das „schwarze Land“, das seinen Namen der etwas bornierten Einfalt der späteren Lordlady Lugard verdankt, gilt als Koloß auf tönernen Füßen. Über 100 Millionen Menschen, die sich mehr als 250 Stämmen zugehörig fühlen, leben ein Vierteljahrhundert nach der Unabhängigkeit der ehemals britischen Kolonie noch immer nicht zusammen: Das ist kein Wunder in einem Land, das viermal so groß ist wie die Bundesrepublik und dessen Diagonale der Entfernung zwischen London und Warschau entspricht. Um trotz allem und trotz zwei Millionen Toter während der 30 Monate Bürgerkrieg in der Ostprovinz Biafra ein Gefühl nationaler Einheit zu schaffen, wird seit fast einem Jahrzehnt eine neue Bundeshauptstadt ins Herz des Landes betoniert: Abuja, ein Gewirr aus Wohnblocks und Stadtautobahnen, das noch immer auf Leben und Leute wartet. Nur einer ist schon da und hat bereits seinen Gewinn gemacht: der bundesdeutsche Bauunternehmer Julius Berger, dessen in Beton gegossenes „B“ in Nigeria die Straßenränder ziert. Zu Recht, denn er und 150 andere westdeutsche Firmen setzen Meilensteine des Profits - auch wenn heute das einstige El Dorado Westafrikas aus dem Erdöltraum erwacht. „Hermes“ mit Pferdefuß Während von Weizsäcker durch das weite Land tourte, war in Nigerias Hauptstadt Lagos vor allem von Geld die Rede. Zunächst vom Geld, das Nigeria schuldet: Nach zähen Verhandlungen billigte die Bundesregierung eine Schuldenregelung, derzufolge 2,4 Milliarden Mark öffentlicher Zahlungsverpflichtungen bis 1997 abgetragen werden sollen. Das Prinzip dieser Regelung war bereits im Dezember im Rahmen des Pariser Schuldenklubs festgelegt worden, aber bislang haderte man noch bei Detailfragen. Jetzt aber soll gar die vor zwei Jahren ausgesetzte Garantie deutscher Exporte (“Hermes–Bürgschaft“) wieder aufgenommen werden: „Ich bin zuversichtlich, daß die neuerliche Überprüfung zugunsten Nigerias ausfallen wird“, verhieß Bundespräsident von Weizsäcker. Bislang freilich hat „Hermes“ noch einen Pferdefuß: Nigeria hat Ende vergangenen Jahres 40 Prozent der von bundesdeutschen Firmen reklamierten nicht–garantierten Handelsschuld rundweg als „unbegründet“ verworfen. In Regierungskreisen in Lagos gesteht man ohne weiteres ein, daß „ein gewisses Maß an Willkür und Härte“ hinter der Entscheidung steht. „Aber jetzt, wo es um unser wirtschaftliches Überleben geht, können doch wohl kaum Firmen um Rechtschaffenheit und Fair Play jammern, die uns jahrelang ausgenommen und hier in Nigeria Superprofite realisiert haben“, kommentiert ärgerlich ein Experte des nigerianischen Finanzministeriums. Was freilich die bundesdeutschen Verantwortlichen nicht hindert, sich für die geprellten Firmen stark zu machen: „Eine großzügige Regelung der öffentlichen Schulden wird einfacher sein, wenn die nicht–garantierten Privatkredite sauber und fair geregelt werden“, erklärte mit diplomatischem Überton Richard von Weizsäcker. Was er damit sagen wollte, versteht man im etwas brutalerem Deutsch des mitreisenden Dieter von Würzen: „Jedes Land braucht frisches Geld..., aber sie werden keins bekommen, wenn sie sagen: Wir wollen nicht zahlen.“ Öl–Boom am Ende Ganz so fesch wird freilich kaum zur Sache gegangen in einem Land, das für bundesdeutsche Firmen zum wichtigsten Absatzmarkt südlich der Sahara geworden ist. 1985 betrug das Gesamtvolumen des deutsch–nigerianischen Handels über acht Milliarden Mark, wovon freilich auf deutscher Seite drei Viertel für den Kauf von Rohöl verwendet wurden. In den vergangenen drei Jahren hat denn auch der gestürzte Erdölpreis den lukrativen Handel in den Keller gezogen: 1987 betrug das Gesamtvolumen nurmehr 2,3 Milliarden Mark. Nigeria hat einfach kein Geld mehr, um wie zuvor in Europa und Amerika einzukaufen, was es selbst nicht produziert: vom Getreide über Medikamente bis zu schlüsselfertigen Industrieanlagen. Die Erdöleinkommen Nigerias, die für sich allein genommen die Hälfte der Staatseinnahmen und mehr als 80 Prozent des Devisenaufkommens ausmachen, sind innerhalb der vergangenen drei Jahre von 24 auf sechs Milliarden Dollar gesunken. Im Klartext: Nigeria hat drei Viertel seiner Kaufkraft verloren. In Wirklichkeit sogar mehr, denn seit 1985 ist die heimische Währung im Vergleich zum US–Dollar um 80 Prozent abgewertet worden: Mangels eingeführter Rohstoffe und Ersatzteile ist die Produktionskapazität der heimischen Industrie auf 30 bis 40 Prozent herabgesunken. Einer weit verbreiteten Meinung zufolge würde es genügen, in Dritte–Welt–Ländern mit dem eisernen Besen gründlich auszufegen - und der Rest käme dann schon von ganz alleine. Wenn das stimmt, dann müßte es Nigeria bald besser gehen, denn seit seiner Machtergreifung im August 1985 stellt General Ibrahim Babangida die nigerianische Wirtschaft vom Kopf auf die Füße: Das Ende des Erdölbooms ist den Nigerianern schmerzvoll bewußt geworden, seitdem Tausende kleiner Beamter auf der Straße sitzen, die Löhne festgeschrieben sind und das tägliche Brot nach „Ersatz“ schmeckt, weil die Einfuhr von Weizen verboten ist, um Devisen zu sparen. Nach der Erdöleuphorie und dem „easy money“ in wildwuchernden Städten predigt die Militärregierung Babangidas heute die „Rückkehr des Landes“: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollten Kakao, Erdnüsse, Gummi und Baumwolle dem Land jährlich bereits fünf Milliarden Dollar einbringen. Wenn das Ziel auch nur annähernd erreicht wird, darf man zu Recht von einer „Grünen Revolution“ sprechen. Anläßlich des Weizsäcker–Besuchs hat die nigerianische Regierung mit Nachdruck, aber ohne Bettelgeste, um deutsche Unterstützung gebeten: beim Abtragen des 26–Milliarden–Dollar Schuldenberges, aber auch beim Aufbau einer neuen Nationalökonomie, die sich hauptsächlich auf das landwirtschaftliche Potiental stützen soll. Ob der Appell auf offene Ohren stoßen wird, bleibt abzuwarten. „Bislang macht die Bundesrepublik eher mit Südafrika Geschäfte: In den ersten acht Monaten des vergangenen Jahres betrug das Handelsvolumen 2,5 Milliarden Dollar“, moniert ein nigerianischer Minister. Und mit Hinweis auf die Demokratisierung seines Landes, das 1992 wieder eine Zivilregierung haben soll, drückte auch General Babangida sein Unverständnis über das deutsche Engagement in Südafrika aus: „Von seiten eines reichen, demokratischen und offenen Landes“ erwarte er Unterstützung für sein Land und einen Beitrag zur Beendigung des Apartheidregimes, erklärte der nigerianische Präsident. Ob er sich zuviel erwartet?