Mit den Waffen Mahatma Gandhis

■ 24 Frauen der tamilischen „Mutterfront“ in Batticaloa sind entschlossen zu hungern, bis es zum Waffenstillstand und zu Verhandlungen mit der LTTE kommt / Indien besteht darauf, daß die LTTE bedingungslos die Waffen niederlegt

Aus Colombo Biggi Wolff

Zunächst ist alles noch ganz friedlich bei der Fahrt über eine schmale Dschungelstraße Richtung Osten. Unser Bus hält von Zeit zu Zeit an Straßenständen, wo sich Führer, Ticketverkäufer und Passagiere tütenweise mit Guaven eindecken. Händler werfen Säcke mit Reis, Chillies und Zwiebeln in den Mittelgang des Busses. Doch plötzlich donnert ein schwerer Panzer um die Kurve, einer der neben der Kanone stehenden Soldaten grüßt mit erhobener Faust. Als unser Fahrer gerade wieder vom Graben auf die Straße lenken will, folgen - mächtige Staubfahnen hinter sich herziehend - zwei weitere T–72, sowjetische Panzer, die die Inder zu ihrer „Friedensmission“ nach Sri Lanka mitbrachten. Wenige Kilometer später und noch zwei Stunden von Batticaloa entfernt dann die ersten Militär–Checkpoints mit Identitäts– und Gepäckkontrollen. Wir wollen Frieden für unsere Kinder und Enkel, deshalb haben wir die ses Fasten bis zum Tod begonnen“, sagt eine alte Frau der „Mütterfront“ Batticaloas im Mamaankan Pilger–Tempel. „Meine beiden Söhne wurden von lankanischen Soldaten ermordet, niemand kann sie mir zurückgeben. Einmal müssen die Greueltaten jedoch ein Ende haben.“ Neben ihr liegt regungslos auf einer Holzpritsche eine schmale, in weiße Tücher gehüllte Gestalt, ein grauer Zopf baumelt an der Seite herunter. Annamah David, 58jährige Tamilin und Mutter von fünf Kindern, fastet seit dem 20. Februar. Es ist der 18. Tag, nur am Atmen und Stöhnen merkt man, daß noch Leben in der Frau ist. Das Tempelgelände ist mit weißen Fähnchen geschmückt, aus Lautsprechern ertönt religiöse Musik. Auf Transparenten stehen die Forderungen an die indische Regierung: sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen mit den „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE). Vierundzwanzig Frauen haben sich per Unterschrift bereit erklärt, im Fall von Annamahs Tod das Fasten fortzusetzen. Ob sie keine Angst vorm Sterben habe, frage ich die 28jährige, die als nächste an Annamahs Stelle treten wird. „Nein, denn unser Tod ist die letzte Chance, um zu verhindern, daß täglich weiter viele Menschen sterben“, antwortet sie. Am selben Tag, so lese ich später in der Zeitung, wiederholt der nach Delhi gereiste indische Botschafter in Sri Lanka, J.N. Dixit, den Standpunkt seiner Regierung: Bedingungslose Waffenniederlegung durch die LTTE, dann erst Gespräche. „Wir nehmen solche Botschaften (der Mütterfront) nicht zur Kenntnis, solange die LTTE–Führung nicht unsere grundlegenden Bedingungen erfüllt.“ Vor zwei Wochen hatte sich Dixit von Colombo auf den Weg nach Batticaloa gemacht, man erwartete die Verkündung eines Waffenstillstands. Eine zweite Frau hatte daraufhin das Fasten abgebrochen, Annamah hatte Flüssig keit zu sich genommen, um ihre Bereitschaft zum Einlenken zu zeigen. Doch kurz vor dem Tempelgelände hatte der Botschafter, aus was für Gründen auch immer, kehrtgemacht. An diesem Nachmittag des 8. März versammeln sich wie an jedem Tag der letzten Wochen Hunderte von SympathisantInnen vor dem Hindu–Tempel, stellen sich an das blumengeschmückte Bett oder setzen sich schweigend in den Sand. Trotz der Absperrung mit Seilen sind Militär–Jeeps und Lastwagen auf das Gelände gefahren, bewaffnete Soldaten patrouillieren. Ein Captain will den Grund meines Interesses wissen. Als wir ins Gespräch kommen, wird sein Unbehagen angesichts der zum Hungertod entschlossenen Frauen deutlich. Zwangsernährung sei jedoch nicht geplant, „denn wir Inder haben schließlich eine lange Tradition der Satyagraha– (Gewaltfreiheits–)Kampagnen. Doch stellen Sie mir keine weiteren Fragen, die Politik wird anderswo entschieden, wir führen Befehle aus.“ Eine Frau der Mütterfront weiß, daß Mahatma Gandhi einmal 60 Tage gegen die englischen Kolonialherren gefastet habe. Im September letzten Jahres ließ die LTTE in Jaffna vor Tausenden trauernden TamilInnen demonstrativ ihren 24jährigen Sprecher Thileepan verhungern. Seitdem hat die zivile Ungehorsamskampagne das Leben in Schulen und Behörden in den von der IPKF besetzten Nord– und Ostprovinzen weitgehend gelähmt. StudentInnen, ArbeiterInnen und Geschäftsleute erklären sich durch kürzere Fastenaktionen mit den Müttern solidarisch. Am nächsten Morgen sehe ich im Zentrum Batticaloas etwa 200 SchülerInnen des St. Michaels College in der glühenden Sonne auf der Straße sitzen. Soldaten mit Maschinenpistolen verhindern ihre geplante Prozession zum Mamaankam Tempel. Jeden Tag, sagt ein Sprecher der Bürgerkomitees, werden so alle gewaltfreien Proteste unterbunden.