Gorbatschow kommt zu Titos Erben

■ Gestern landete Gorbatschow in Belgrad: zum ersten Besuch eines sowjetischen Parteichefs seit Titos Tod

Belgrad (taz) - Nach mehreren Absagen hat es endlich geklappt: Gestern nachmittag ist der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow zu einem fünftägigen Besuch in Belgrad eingetroffen. Er zeigt durch diesen Besuch sein großes Interesse an dem Land, das unter Josip Broz Tito vor vierzig Jahren mit der Sowjetunion gebrochen hatte, als Stalin die jugoslawische Partei vor die Wahl stellte, sich bedingungslos der Sowjetunion unterzuordnen oder aus dem sozialistischen Lager auszuscheren. Der eigene jugoslawische Weg zum Sozialismus, das Selbstverwaltungsmodell in den Betrieben und die Dezentralisierung des Staates war für viele Sozialisten und Kommunisten damals ein Silberstreif am Horizont. Tito rüttelte als erster Staatschef eines real–sozialistischen Landes an den Dogmen des Marxismus–Leninismus, öffnete das Land auch gegenüber dem Westen und ließ seine Landsleute unbehindert reisen. Kein Wunder also, daß in der Folgezeit in den anderen Parteien alle Abweichungen von der sowjetischen Linie als Titoismus gebrandmarkt wurden. Heute sind die Vorzeichen ganz anders. Während in der Sowjetunion Schlagworte wie Arbeiterselbstverwaltung und Dezentralisierung zunehmend einen guten Klang bekommen, ist das jugoslawische System in einer Sackgasse gelandet. Die Inflation stieg auf 208 Prozent, die Arbeitslosigkeit erreicht in manchen Gegenden satte 30 Prozent und der Reallohn sank in wenigen Jahren von einst stolzen 700 auf heute 200 DM im Monat. Verschärft werden die Probleme durch ein starkes Industrialisierungs– und Wohlstandsgefälle zwischen den nördlichen und südlichen Teilrepubliken. Die zunehmend nationalistisch gefärbten Konflikte zwischen den Regionen können im Zeichen der negativen Wirtschaftsentwicklung von der Zentralregierung nicht mehr ausgeglichen werden. Durch den Vormarsch nationalistischer und autoritärer Kräfte in der serbischen Parteiführung, der größten und wichtigsten im Vielvölkerstaat, wird das empfindliche System des Interessenausgleichs zunehmend gestört. Sich offen darüber zu beklagen wagt die Parteiführung Sloweniens, die die Bewältigung der Krise in einer weiteren Demokratisierung und Liberalisierung der Wirtschaft sieht. Ausgerechnet dort will Gorbatschow zwei Tage bleiben - sehr zum Ärger der Zentralregierung in Belgrad, die mit Säuberungen in der slowenischen Partei droht. Die Stimmung wurde in den letzten Wochen noch angeheizt, als ein Redakteur der slowenischen kommunistischen Jugendzeitung Mladina, Franci Zavrl, vor Gericht mußte, weil er Verteidigungsminister Mamola Korruption bei Waffengeschäften vorgeworfen hatte. Gorbatschow jedoch hat in der entwickeltsten Republik Jugoslawiens gute Karten. H.Hofwiler/Erich Rathfelder Siehe auch Kommentar