„Hohes Maß an Leitungsfeindlichkeit“

■ Gorbatschows Reformanstrengungen bringen die DKP in die größte Krise ihrer Geschichte / Von Reiner Scholz

Am Wochenende tagte der 97köpfige Parteivorstand der DKP in Düsseldorf. Offizielles Thema: Diskussion des „ersten Entwurfes“ eines Reformprogramms, das den Titel trägt: „Bundesrepublik 2000“. Doch hinter den Kulissen ging es um anderes: Wie bekommt die Parteiführung die Reformdiskussionen in den Griff, die an verschiedenen Stellen des Parteiapparats aufflackern. Und da sind die leitenden Genossen nicht zimperlich. Von neuen Parteiordnungsverfahren war die Rede, alte wurden „nachbearbeitet“. So die äußerst komplizierte „Trockenlegung“ des Erlanger Sumpfes. Dort haben es, glaubt man den „Dokumenten“, drei DKP–Genossen geschafft, das „einheitliche politische Handeln der Partei zu zersetzen“ und die „Kreisorganisationen in die Handlungsunfähigkeit zu treiben“. Im Februar 1988 schloß die oberste Parteischiedskommission die langjährigen DKP–Mitglieder und Reform– Befürworter Sophie Wünsch, Manfred Heinrichs und Volker Einhorn aus der Partei aus. (DKP– Oberschiedsrichter Otto Hans gegenüber der taz: „Es geht nicht um abweichende Meinungen, sondern konkrete, schädliche Handlungen“). 18 Erlanger Genossen gingen freiwillig mit, davon eine Gruppe von 14 Personen in der letzten Februarwoche. Manfred Heinrichs, so das stramm orthodoxe Bezirkssekretariat in Nordbayern, habe ein „hohes Maß an Leitungsfeindlichkeit“ gezeigt. Sophie Wünsch habe mit grundlegenden Normen innerparteilicher Demokratie gebrochen und gar gefordert, „den Kreisvorsitzenden und weitere Mitglieder des Bezirkssekretariats abzuwählen“. Volker Einhorn, bis Sommer letzten Jahres als von niemandem gewählter, von oben eingesetzter „Instrukteur“ (Anleiter, auch „Briefträger“ genannt) für Nord– und Südbayern im Parteivorstand in Düsseldorf angestellt, soll in „unverantwortlicher Weise“ gegen seine Parteioberen intrigiert haben. Wegen ihm, so das Bezirkssekretariat, „war Einheit und Geschlossenheit in Erlangen nicht mehr gegeben“. Einmalig für die Partei solidarisierten sich 24 Erlanger Mitglieder gegen den unbedingten Ausschlußwillen der konzertierten nordbayerischen und Düsseldorfer Ordnungszentralen. Vergebens. Die Parteiführung ist äußerst dünnhäutig geworden. Denn trotz ihres 20jährigen Jubiläums gehts der 40.000köpfigen Partei so schlecht wie nie zuvor. Dies veranlaßte den langjährigen Vorsitzenden und Mitverantwortlichen für diesen Zustand, Herbert Mies (“der Dicke“), Anfang des Jahres zur spektakulären Flucht nach vorn. Die Lage der Partei sei „sehr ernst“, der Aktivistenstamm kleiner geworden. Es falle zunehmend schwerer, „größere Teile in die Aktion zu führen“. Er sprach von einem „teilweisen Rückgang des eigenständigen Auftretens der Grundorganisationen“ und einem Rückgang des UZ–Verkaufs (Unsere Zeit, Zentralorgan der DKP). Die Mitgliederentwicklung sei „gravierend negativ“ und erstmalig seien in der DKP „Meinungsverschiedenheiten entstanden, die nicht leicht zu überwinden waren und sind“. Doch sein neues Rezept ist das alte: Die Partei müsse eine „Partei der Taten“ sein, und wo das nicht der Fall sei, „es wieder werden“. Auch die Mittel, mit der die jetzige Führungsriege, die ihre politische Sozialisation als „FDJ– Funktionäre“ im harschen Klima des „Kalten Krieges“ und der gefährlichen Zeiten des rigide praktizierten KPD–Verbots durchmachte, sind die alten. Wer als einfaches Mitglied möchte, daß seine Kritik an der Partei auch bis zu den Ohren anderer Genossen vordringt, findet dafür kein erlaubtes Forum. Macht es jemand trotzdem öffentlich, gibts unweigerlich Ärger: - Für ein 58–Zeilen–Interview in der taz (“Endlich klar Schiff machen“) vom Oktober letzten Jahres bekam das langjährige Parteimitglied, der Hamburger Betriebsrat Andreas Müller–Goldenstedt, nach einem vier Monate währenden Verfahren Anfang März von der hanseatischen Bezirksschiedskommission eine „Verwarnung“ ausgesprochen. Bis zuletzt hatte der Düsseldorfer Vorstand kategorisch auf Ausschluß gedrängt. - In der gleichen Sache erhielt Glasnost–Anhänger Peter Schütt eine Verwarnung, weil er das Gespräch vermittelt hatte. - Ein Parteiordnungsverfahren handelte sich jetzt auch der ehemalige stellvertretende Kreisvorsitzende in Karlsruhe, Helmut Krebs, ein. Er hat in einer an interessierte „Genossen“ verschickten, 13seitigen Schrift „Wie weiter mit der DKP“ der Partei wenig Schmeichelhaftes gesagt: „Innere geistige Leere“, Pflege eines „Kults der Stärke“ und die „Kader bilden eine Partei in der Partei“. Krebs Änderungsvorschläge dürften den Reformern gefallen: Vergrößerung der „Grundeinheiten“, damit überhaupt Diskussionen möglich sind, zwei Drittel der Parteitagsdelegation sollen (wieder) von der Basis gewählt werden und: die Kreise sollen mehr Parteigelder bekommen, um selbst die hauptamtlichen Kreisfunktionäre anstellen zu können. „Dies würde die Kaderfrage rasch zu einer politischen machen“, weil die Auswahl der Funktionäre dann erstmalig der „demokratischen Meinungsbildung durch die Parteibasis unterliegen“ würde. Doch derart ketzerische Demokratisierungsvorschläge werden derzeit noch mit dem „Parteiordnungsbann“ belegt. Statt dessen versuchte der Düsseldorfer Parteivorstand in den letzten Monaten, die resignierten und demotivierten Genossen durch Aktionen wieder aufzurichten. Mit begrenztem Erfolg. Selbst die „wunderbare“ (Wirtschaftsexperte Josef Schleifstein) Bewegung der Stahlkocher in Rheinhausen brachte statt eines organisatorischen Schubs nach vorn für die 400 zusammenge trommelten Funktionäre nur kalte Füße vor den Werktoren und anhaltenden Frust über die mangelnde Effektivität der Partei. Bis zum Parteitag im nächsten Jahr soll sich die Organisation nun, so beschloß der Vorstand am Wochenende, mit der Diskussion des „Reformprogramms“ beschäftigen. Erstmalig legt damit die DKP ein Papier vor, daß dem Hier und Heute gilt und von Sozialismus nicht mehr spricht. Ferner wurde beschlossen, daß nicht mehr wie sonst 30 bis 40 Grußredner die Zeit stehlen, sondern nur vier zu Wort kommen sollen. Der erste Arbeitstag, auch dies ein Novum, soll allein „Arbeitsgruppen“ vorbehalten sein. Vorgesehen ist auch, daß erstmalig richtig gewählt werden darf. Wenn der Parteivorstand diesem Vorschlag auf seiner nächsten Sitzung zustimmt, darf es mehr Kandidaten als zu vergebene Posten geben. Herbe Kritik wurde allerdings auf der Vorstandssitzung daran geübt, daß der wohl größte Wirtschaftsexperte der Partei, der Bremer Uni–Professor Jörg Huffschmidt, ausdrücklich nicht an der Erarbeitung des Programms beteiligt wurde. Er gilt als Glasnost– Anhänger. Die Düsseldorfer Zentrale wollte kein Risiko eingehen und hat den nun zu diskutierenden Entwurf, der am Wochenende aus der Taufe gehoben wurde, lieber gleich selbst verfaßt.