Das städtische Indien im Teil–Streik

■ Der landesweite Generalstreik wurde teilweise befolgt / Kommunisten mobilisieren am besten

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, welchen Rückhalt die Opposition im Lande hat, konnte der landesweite Generalstreik, zu dem acht indische Oppositionsparteien gestern aufgerufen hatten, nicht geben. Während in der Hauptstadt New Delhi und der Geschäftsmetropole Bombay das Leben nach Augenzeugenberichten nahezu normal verlief, war der Streik in den von den Kommunisten regierten Bundesstaaten Westbengal und Kerala weitgehend erfolgreich; ebenso in Karnataka und Andhra Pradesh, wo Regionalparteien die jeweilige Regierung stellen. Mit dem landesweiten Generalstreik sollten die Forderungen nach Rücktritt von Premierminister Rajiv Gandhi und Neuwahlen zum Zentralparlament unterstrichen werden. Im Vorfeld der Generalstreiks waren mehrere zehntausend Menschen vorbeugend inhaftiert worden. Der gemischte Erfolg des Generalstreiks spiegelt die begrenzte Macht der Opposition wider. Die Kommunisten, die im November letzten Jahres eine Million Menschen zu einer Demonstration gegen die Regierung in New Delhi mobilisiert hatten, haben im Kampf gegen Rajiv Gandhi die Initiative übernommen. Ihr Einfluß beschränkt sich jedoch auf wenige Regionen des Landes. Sie lehnen eine Zusammenarbeit mit der ebenfalls oppositionellen hindu–chauvinistischen „Indischen Volkspartei(BJP)“, die insbesondere unter den städtischen Mittelschichten im Norden und Westen des Landes Anhänger hat, prinzipiell ab. Die BJP hatte den Streikaufruf nicht unterstützt. Daß der Generalstreik nicht landesweit befolgt wurde, ist deshalb noch kein eindeutiger Beweis für die Popularität Rajiv Gandhis. Vor allem spiegelt der Generalstreik, in dem sich insbesondere der Unmut des städtischen und industriellen Indien mit politischer Korruption, steigenden Preisen und der Regierungspolitik im Punjab–Konflikt niederschlägt, nicht die Unzufriedenheit der Bauern mit der Landwirtschaftspolitik wider. Uwe Hoering