Gitter sieht man eher von innen

■ „Strafvollzug und Menschenwürde“, eine Anhörung der NRW–Grünen, dokumentiert Dissens zwischen linken Kriminologen und Gefangenen

Aus Düsseldorf Walter Jakobs

„Das Srafvollzugsgesetz bietet einen breiten Spielraum für eine menschenwürdigere Vollzugsgestaltung, es wird aber nicht konsequent genutzt... Strafvollzug und Menschenwürde brauchen keine unüberbrückbaren Gegensätze zu sein.“ Leider, so fährt P. Günter Danek, der selbst langjährige Hafterfahrungen hinter sich hat, bei der Anhörung „Strafvollzug und Menschenrecht“ fort, sehe die Vollzugsrealität aber ganz anders aus. Ähnlich wie Danek argumentiert Hubert Wetzler, seit 1976 zur Verbüßung einer 12jährigen Freiheitsstrafe in Haft, der zwar einräumt, daß der Strafvollzug „menschlicher“ geworden sei, aber dennoch auf dem „Stand eines humanen Verwahrvollzuges im wesentlichen stehen geblieben ist“. Von einem „umfassenden Behandlungsvollzug“, also von dem im Gesetz formulierten Ziel, „im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“, sei die Vollzugspraxis meilenweit entfernt. Wetzel, der das „INFO zum Strafvollzug in Praxis und Rechtsprechung“ herausgibt, weiß die Lücke zwischen Gesetz und Realität an unzähligen Beispielen mit unglaublicher Präzision zu schildern. Aber wie kann diese Lücke geschlossen werden? Für den Hannoveraner Kriminologen Dr. Knut Papendorf kommt dieser Versuch der Quadratur des Kreises gleich. Für ihn steht fest, „daß der Strafvollzug nicht reformierbar ist und auch gar nicht ernsthaft reformiert werden soll“. Papendorf lehnt die „auf der Einschlie ßungslogik basierende Resozialisierungskonzeption“ ab, denn „das Festhalten am Gefängnismodell ermöglicht, daß an der Wurzel der Probleme ansetzende Lösungen auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden können“. Als Zwischenschritte in Richtung auf eine Gesellschaft ohne Knast forderte Papendorf während der von den NRW–Grünen organisierten Anhörung, daß unter 18jährige „nicht mehr mit einer Freiheitsstrafe sanktioniert werden können“. Ferner müsse das Strafniveau abgesenkt und die Entlassung schon nach der Verbüßung der Halbstrafe - wie in Schweden - möglich werden. Helmut Pollähne, Kriminologe aus Bielfeld, sprach am Montag, ähnlich wie Papendorf, von der „Behandlungs–Illusion“ im Strafvollzug. Der Strafvollzug sei „eine gewollte Übelszufügung“, und solange die Gesellschaft diesen Zustand beibehalten wolle, gehe es darum, die Schäden für die Gefangenen „zu minimieren“. Zwar sei es zu begrüßen, wenn die Verwahrung im Gefängnis humaner gestaltet werde, aber der Versuch, den beträchtlichen Rückgang der Gefangenen in NRW jetzt, wie z.B. im Landtag diskutiert, „zur Umsetzung des Vollzugszieles, der Behandlung, auszunutzen, verspricht nichts Gutes. Er droht die Chancen der Gefangenen auf einen menschenwürdigen Strafvollzug zu unterlaufen und längerfristig das Ziel, den Strafvollzug abzuschaffen, zu konterkarieren“. Das Bedauern von Hubert Wetzler darüber, daß der „Behandlungsvollzug“ eben noch nicht Vollzugspraxis sei, mochten die Wissenschaftler nicht teilen. Das Engagement der Gefangenen oder Ex–Gefangenen war deutlich anders akzentuiert, konzentrierte sich auf das hier und jetzt, denn, so Wetzler, man müsse davon ausgehen, daß das jetzige Knastsystem noch lange, „vielleicht 40 oder 50 Jahre“, Bestand haben werde. Natürlich, eine Gesellschaft ohne Knast sei das Ideal, aber jetzt gehe es darum, die „Gegenreform“ zu stoppen - auch ein Anliegen der beiden Wissenschaftler -, die zum Ziel habe, die Möglichkeiten des 1977 geschaffenen Strafvollzugsgesetz einzuschränken. Die jetzt von den Justizministern der Länder beabsichtigte Verschärfung müsse endlich zum Thema in der Öffentlichkeit gemacht werden. Das falsche Bild vom „fidelen Knast“ sei mit der Knastrealtität zu kontrastieren. Dies schilderte Irene Dreier, vier Jahre in der JVA Willich–Anrath, so: „Die Mäuse huschen über die Flure und durch die Zellen. Von den Wänden fällt brockenweise der Putz, die Zellen sind die reinsten Bauruinen. Feuchtigkeit dringt durch, der Zustand ist menschenunwürdig. Da die alten Fenster nicht richtig schließen, sieht es so aus, daß wir im Winter die Kälte, besonders auf der unteren Etage, kaum aushalten können. Die Hände waren kaum bewegungsfähig, starr und blau vor Kälte.“ Wer aufmucke, komme in den „Bunker“, in dem sich „eine auf dem Boden liegende, stinkende Gummimatratze, eine Decke und ein im Boden verankertes Loch, welches als Toilette dienen soll, befindet“. Mit dem „Bunker“ solle „das letzte bißchen Gegenwehr gebrochen werden“.