Wie Kissinger zu seinem Ehrendoktor kommt

■ Friedrich–Alexander–Universität ehrt am Samstag den Ex–US–Außenminister für sein „humanistisches Geschichtsbild“ / Kanzlerberater Stürmer hat alles eingefädelt / Trotz Bauchschmerzen will kein Prof Nestbeschmutzer sein

Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - „Henry kommt am 19.3. - wir auch.“ Die Sprayer in der Universitätsstadt Erlangen waren in den letzten Tagen sehr aktiv, denn dem langjährigen US–Sicherheitsberater und Außenminister Henry Kissinger soll am Samstag „ein feuriger Empfang“ bereitet werden. Dann bekommt er in der Aula des Schlosses im Rahmen einer akademischen Feier den Grad eines Doktors der Philosophie ehrenhalber der Friedrich–Alexander– Universität (FAU) verliehen. Nur unter massivem Polizeischutz wird Universitätspräsident Fiebiger den hohen Gast begrüßen können, der von den bayerischen Grünen als „Kriegstreiber“ bezeichnet wird und dessen Person bei StudentInnen und ProfessorInnen umstritten ist. „Die Ehrenpromotion erfolgte auf Anregung des Fürther Oberbürgermeisters Uwe Lichtenberg“, heißt es aus der Pressestelle der FAU. Der Pressesprecher der Stadt Fürth Böhmetzrieder ist da ehrlicher: „Nach Vorgesprächen“ mit der Universität hat OB Lichtenberg im November 1985 einen entsprechenden Brief an die Universität geschrieben. Die Universität brauchte jemanden von außerhalb. Schließlich wurde Kissinger in Fürth geboren. Wegen der Judenverfolgung mußte der damals 15jährige samt Familie in die USA auswandern. Gewöhnlich gut unterrichtete Kreise innerhalb der FAU sehen in dem Historiker Prof. Michael Stürmer, seit 1973 Ordinarius für neuere und neueste Geschichte in Erlangen, den Drahtzieher der Aktion. Aus dem einst liberalen Sozialhistoriker ist längst ein sogenannter Revisionist im „Historikerstreit“ geworden, der mit nationalem Pathos den „Blick aufs Ganze der deutschen Geschichte“ fordert. Inzwischen zum Berater und Ghostwriter von Bundeskanz ler Kohl aufgestiegen, hat Stürmer der Universität ein peinliches Abschiedsgeschenk bereitet, denn ab 1.4.88 steht der Historiker in Diensten der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Ebenhausen an der Isar, einer außenpolitischen Denkfabrik der Bundesregierung. Um seine damaligen Ambitionen auf die Leitung des „Historischen Hauses“ in Washington zu verbessern, schlug Stürmer, ehemals Gastdozent in Harvard, einen Deal vor. Kissinger sollte für ihn ein gutes Wort einlegen, dafür erhielte er den Ehrendoktorhut in Erlangen. Der „point of no return“ war schnell erreicht. Ein Zurückweisen des Ansinnens hätte sofort die Person Kissinger desavouiert. „Eine unausweichliche Bewegungslogik“, so ein Erlan ger Politologe, setzte sich in Gang. Keiner wollte die FAU ins Gerede bringen, keiner wollte sich die Sympathien der meist rechten Ordinarien an der FAU verscherzen. Leiter des Instituts für Politische Wissenschaften, Prof. Jasper, nicht, denn er gilt als aussichtsreichster Kandidat für die nächsten Präsidentenwahlen 1989. Er wäre das erste SPD–Mitglied überhaupt auf dem Präsidentenstuhl der zweitgrößten Univer sität Bayerns. Auch Prof. Ruffmann, Vizepräsident der Uni, nicht. Er will Leiter des Instituts für Gesellschaft und Wissenschaft werden und verfaßte die erste Laudatio. Darin werden Kissingers „humanistisches Geschichtsbild“ sowie seine „europäischen Denktraditionen“ gepriesen. Dessen Verdienste um die Wissenschaft ließen es „einer europäischen Universität im Zentrum dieses Kontinents wohl anstehen, Henry Kissinger die Ehrendoktorwürde anzutragen“. Die Reihen innerhalb der Universität wurden also geschlossen, die Zähne werden zusammengebissen. Viele Professoren behalten ihre Bauchschmerzen für sich und werden ihren Unwillen lediglich durch Fernbleiben von der akademischen Feier ausdrücken. Insbesondere der Politiker Kissinger, dessen „Theorien“ lediglich eine gedankliche Vorwegnahme von politischen Vorhaben seien, steht im Zentrum ihrer Kritik. In der Tat erschöpfen sich Kissingers Werke in strategischen Planspielen und Überlegungen zur Frage des sogenannten „Gleichgewichts“ zwischen den Weltmächten, mit dem Ziel, den Hauptfeind Sowjetunion politisch und militärisch zu schwächen. In seinen Reden und Aufsätzen zur weltpolitischen Lage (1983) definiert Kissinger erfolgreiche Außenpolitik: „Irgendwo und irgendwie müssen die Vereinigten Staaten zeigen, daß sie fähig sind, einen Freund zu belohnen oder einen Gegner zu bestrafen.“ Der Amerikaner, der 1975 Ehrenbürger von Fürth wurde, besitzt viele und gewichtige Fürsprecher an der FAU. Deshalb richtet sich der Protest der Studentenvertretung auch „gegen eine Universität, die sich mit der Ehrung dieses Mannes schmückt“. Für die Studenten ist es „dieser Geist der herrschaftsgeilen Ideen, der NATO–Selbstgerechtigkeit und des argumentlosen Nationalismus, der mit der Ehrung Kissingers keinen Mißgriff tut.“ Anglistik–Professor und CSU–Stadtrat in Erlangen Erwin Wolff zum Beispiel findet die Ehrung „in Ordnung“. Die Kampagne gegen Kissinger findet er ärgerlich. „In Deutschland muß man sich vorsehen, eine Hetze gegen einen Juden zu betreiben.“ Kissinger werde „als Mann jüdischer Herkunft aus unserem Raum stellvertretend für andere“ geehrt. Schon in der Laudatio hatte Ruffmann die Ehrung als „versöhnende Geste“ bezeichnet. Gerade diese Verbrämung der Ehrendoktorwürde mit dem Hinweis auf Kissingers Herkunft und Vertreibung finden die bayerischen Grünen „eine Geschmacklosigkeit ohnegleichen“. Sie unterstützen die Protestaktionen am Samstag um 10 Uhr auf dem Schloßplatz in Erlangen. Im Vorfeld der Protestaktionen hat die Polizei bereits Wohnungen in Nürnberg und Erlangen durchsucht. Beschlagnahmt wurden Aufkleber, Flugblätter und Plakate zum Thema Kissinger.