„Primat der absoluten Gewaltlosigkeit“

■ Bürgerinitiativen rechnen mit 15.000 TeilnehmerInnen für die Hanauer Demonstration gegen Atomanlagen am Samstag / „Die Widerstandsbewegung“ soll verbreitert werden / Veranstalter bedauern den Rückzug der Autonomen / Poker um Demonstrationsauflagen

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Der BI–Veteran Eduard Bernhard (61) aus Kleinostheim bei Hanau staunte nicht schlecht: Als die „Initiative Umweltschutz Hanau“ (IUH) und die Bürgerinitiative „Aschaffenburg/Untermain“ im Februar zu einer kleinen Spontandemonstration gegen die Atombetriebe aufriefen, versammelten sich über 600 BürgerInnen auf dem Platz vor dem Hanauer Rathaus, vor allem ältere Menschen und Eltern mit Kindern. Gerechnet hatten die vereinigten Bürgerinitiativen mit etwa 100 TeilnehmerInnen. Aus diesem „Schlüsselerlebnis“ (Bernhard) leiteten die BIs Schlüsse für die zukünftige Ausgestaltung von Aktionen und Demonstrationen gegen die Hanauer Nuklearbetriebe ab, die jetzt - bei der Vorbereitung der für den Sonnabend geplanten Großdemonstration - zu einer eindeutigen Formulierung des Demonstrationsaufrufs führten: „Wir wollen friedlich und gewaltfrei demonstrieren.“ Ziel der Bürgerinitiativen vor Ort ist es, die „Widerstandsbewegung“ gegen die Hanauer Nuklearanlagen zu verbreitern, denn das Atomprogramm sei nur „durch den vielfäl tigen und entschlossenen Druck der Bevölkerung“ zu verhindern. Die noch zu Zeiten der rot–grünen Koalition in Wiesbaden als „in ein Taxi passend“ gehänselte IUH wittert Morgenluft: Die Skandale um Transnuklear und NUKEM, die monatelang die Republik erschütterten, haben die Hanauer Bevölkerung sensibilisiert. Die Front der harten Atom–Befürworter aus den Reihen der MitarbeiterInnen der Nuklearbetriebe und der „Atomparteien CDU/SPD/ FDP“ (IHU) beginnt zu bröckeln. Um so härter schlagen derzeit die politisch Verantwortlichen der Stadt zurück, die den Skandalbetrieben bislang immer die Stange gehalten haben. Die CDU sammelt in Hanau Unterschriften gegen die Demonstration und plakatiert die City großflächig zu: „Bürger wehrt Euch gegen Gewalt und Terror in Hanau.“ Der Hanauer OB von der rechten Hardlinerfront der hessischen SPD verbot kurzerhand die Demonstration, die unter dem „Primat der Gewaltfreiheit“ (IUH) stehen soll, weil dort „gewalttätige Auseinandersetzungen“ (Martin) zu erwarten seien. Zwar hob das Frankfurter Verwaltungsgericht die Verbotsverfügung des OB wieder auf, doch die Veranstalter hätten angeblich „deeskalationsfördernde“ Auflagen akzeptieren müssen, die auf ein faktisches Demonstrationsverbot hinausgelaufen wären. Unter anderem verlangte das Verwaltungsgericht, daß die Demonstranten „in Fünferreihen“ a zehn Reihen - dazwischen BI–Ordner - vom Kundgebungsort hätten abziehen sollen (taz vom 17.3.). Der Verwaltungsgerichtsstreit um die Hanau–Demonstration ist inzwischen beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel anhängig. Eine Entscheidung wird für heute erwartet. Doch die Demonstration, so BI–Anwalt Matthias Seipel, wird stattfinden, „gleichgültig, wie die Auflagen letztendlich aussehen“. Mit welchen Methoden die Hanauer Polizeiführung schon im Vorfeld der Demonstration versuchte, die Veranstalter zu verunsichern und zu kriminalisieren, belegt ein Vorfall auf der Pressekonferenz der Bürgerinitiativen. Als Journalist „getarnt“ hatte sich ein Beamter mit Notizblock eingeschlichen, um Informationen „aus erster Hand“ an den Polizeipräsidenten weitergeben zu können. Nach seiner „Enttarnung“ saß der Spitzel wie ein armes Würstchen am Pressetisch. Der BI–Sprecher teilte den „richtigen“ Journalisten anschließend mit, daß die Polizeiführung von diesem Pressetermin nur durch die Abhörung seines Telefons - und des Telefons von BI– Anwalt Matthias Seipel - Wind bekommen haben könne, „und das ist eine Sauerei“ (Seipel). Als „Sauerei“ bezeichnete Elmar Diez auch die Versuche aus dem autonomen Spektrum heraus, ihn und seine MitstreiterInnen „madig“ machen zu wollen. Diez und seine Leute wandten sich vor allem gegen die in einem Flugbatt, das von zwölf autonomen Gruppierungen gezeichnet worden war, aufgestellte Behauptung, daß die IUH radikalere Gruppierungen aus dem Vorbereitungsplenum der Demonstration herausgedrängt habe. Mit der Festlegung auf das „Primat der absoluten Gewaltfreiheit“(Diez) habe man sich lediglich des bislang allgemein gültigen Prinzips des „Primats der Vor–Ort–Bis bei der Ausgestaltung von Aktionen“ bedient. Die MitgliederInnen der IUH und der BI–Aschaffenburg/Untermain bedauerten vor der Presse den Rückzug der Autonomen. Insgesamt 115 Organisationen - von der AL–Berlin und den Grünen–Hessen bis zu SPD–Ortsvereinen der Region - haben sich bislang in die Unterstützerliste für die Demonstration eingetragen. BI–Sprecher rechnen trotz - oder gerade wegen? - des Boykotts der Autonomen optimistisch mit ca. 15.000 TeilnehmerInnen. Im Rahmen der Hauptkundgebung auf dem Hanauer „Freiheitsplatz“ sollen u.a. Robert Jungk, der Schwandorfer Landrat Schuierer und die schwedische AKW–Gegnerin Ingeborg Kleinhans zu den erwarteten Massen sprechen. Die Einladung Robert Jungks nannte BI–Sprecher Diez einen „demonstrativen Akt“, mit dem Solidarität mit dem von der Hanauer Staatsanwaltschaft angeklagten renommierten Umweltschützer bekundet werde. Mit der Teilnahme von Jungk an der morgigen Demonstration hatte der Hanauer OB Martin u.a. seine Verbotsverfügung begründet und die FAZ machte Jungk indirekt dafür verantwortlich, daß an der Startbahn West zwei Polizisten erschossen wurden. Daß IUH und BI–Aschaffenburg/Untermain ausgerechnet den 19.3. zum Demonstrationstag erkoren haben, hat einen historischen Hintergrund. Am 19. März 1945 wurde Hanau durch einen Bombenangriff zu 80 Prozent vernichtet.