Kurdenmassaker im Golfkrieg

■ Irak nutzt Gunst der Stunde und bombardiert oppositionelle kurdische Stadt Halabja im Grenzgebiet zu Iran / Mehrere tausend Tote und Verletzte gemeldet / Städtekrieg geht mit besonderer Brutalität weiter

Aus Manama William Hart

Mit der systematischen Bombardierung der an der iranischen Grenze liegenden Kurdenstadt Halabja hat Irak auf die Besetzung dieser Stadt durch oppositionelle Kurden reagiert. Die Zugangsstraße in das 70.000 Einwohner zählende Halabja war am Montag durch iranische Truppen blockiert und Halabja eingeschlossen worden. Ein Sprecher der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) erklärte in Teheran, am Dienstag sei es PUK–Verbänden gelungen, die Stadt zu besetzen. Wenige Stunden später seien dann die Bombenangriffe der irakischen Flugzeuge erfolgt. Die Luftwaffe habe chemische Waffen eingesetzt, Tausende von Zivilisten seien getötet oder verwundet worden. Die PUK ist eine Befreiungsbewegung irakischer Kurden, die mit Teheran verbündet sind. Die iranische Nachrichtenagentur IRNA meldete 4.000 Tote und Tausende von Verletzten. Die Demokratische Partei Kurdistans hat das Internationale Rote Kreuz und andere Organisationen aufgefordert, Hilfsgüter nach Halabja zu senden. Die Stadt Halabja war bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres für kurze Zeit von der PUK besetzt worden. In der Nacht zum 13. Mai 1987 hatte die irakische Armee versucht, Bewohner Halabjas festzunehmen, um sie in den Südirak umzusiedeln. Nach gewaltsamen Protesten mußten sich die Truppen zurückziehen. Diese regierungsfeindliche Haltung hat die iranische Armee genutzt, um zusammen mit Verbänden der PUK die Halabja–Region zu erobern. Nach Berichten aus Teheran wurden in den vergangenen fünf Tagen 800 Quadratkilometer besetzt. Mit den Luftangriffen wollte Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar auf Seite 4 Irak offensichtlich die Stadt Halabja zerstören, damit sie von den Regierungsgegnern nicht zu einem Zentrum auf irakischem Territorium ausgebaut werden kann. Schon seit 1983 hatten Geheimdienst und Armee mindestens 100 kurdische Dörfer im Nordirak dem Erdboden gleichgemacht, weil sie als Stützpunkte der Opposition galten. Bereits im Januar hatten irakische Flugzeuge Giftgas gegen Kurden eingesetzt. Da das gesamte Gebiet systematisch abgeriegelt ist, geht die Regierung in Bagdad offensichtlich davon aus, daß diese Verbrechen nicht bekannt bzw. im Ausland nicht geplant werden. Mit den brutalen Angriffen sollen aber nicht nur Stützpunkte der Opposition zerstört, sondern es soll eine abschreckende Wirkung in der gesamten Kurdenregion erzielt werden. Iran hat seine Angriffe seit Beginn des Jahres auf diese Gebiete konzentriert. Nachdem die Armee im vergangenen Jahr vor allem Gebiete im Niemandsland, die von iranischen und irakischen Oppositionsgruppen kontrolliert wurden, besetzt hatte, werden jetzt systematisch Stellungen der irakischen Truppen angegriffen und mit zunehmendem Erfolg erobert. Die iranischen Erfolge sind wegen der Unterstützung der ortskundigen und kampferfahrenen kurdischen Oppositionsgruppen möglich geworden. Teheran ist es gelungen, die seit Jahren zersplitterte irakische Kurdenopposition zu einigen und in weitgehende Abhängigkeit zu bringen. Die Terrorangriffe der Armee werden diesen Trend verstärken. Unklar ist, ob Iran mit seinen Angriffen große Gebietsgewinne in Irakisch–Kurdistan anstrebt und langfristig einen Vorstoß in die 100 Kilometer westlich gelegenen Erdölgebiete bei Kirkuk plant, oder ob die irakische Armee an der gesamten 1.180 Kilometer langen Front auseinandergezogen werden soll, um im Süden doch noch einen Großangriff zu starten. Die Kämpfe seit Sonntag zeigen, daß Teheran seinen Zermürbungskrieg wiederaufgenommen hat. Der irakische Raketenbeschuß wird zunehmend mit Angriffen an der Front beantwortet. Iran versucht, die Raketenangriffe durchzustehen in der Hoffnung, daß dem Kriegsgegner die Boden–Bodenraketen in naher Zukunft ausgehen, oder das Irak auf Grund der internationalen Proteste gezwungen ist, den Städtekrieg zubeenden. Daß iranische Revolutionswächter am Freitag morgen gleich drei Schiffe auf der arabischen Seite des Golfes als Vergeltung für einen irakischen Angriff beschossen haben, deutet daraufhin, daß Iran auch im Tankerkrieg massiven Druck auf Irak ausüben will. Die Führung der Islamischen Republik will militärisch durchsetzen, daß Irak international als Aggressor benannt und damit die iranische Bedingung für einen Waffenstillstand im Golfkrieg erfüllt wird.