Leipziger Messe: Chipwärts nach Westen

■ High–Tech made in Germany–Ost und Bücher als Publikumsrenner auf der Leipziger Messe

Zweimal im Jahr tobt in Leipzig der Verteilungskampf, und zwar knalldiszipliniert. Es geht um Bockwurst und „Pikanten Toast“, Club Cola und „Kaffee komplett“ in einer der hoffnungslos umlagerten Gaststätten und ein Bett in halbwegs akzeptabler Lage zum Messegeschehen. Aussteller auf der bis zum Sonntag laufenden Frühjahrsmesse melden dagegen noch viel Platz in ihren Auftragsbüchern. Keine spektakulären Neuerscheinungen meldet der taz–Korrespondent von der Buchmesse.

Eine Fahrt in die DDR ist immer eine Zeitreise. Noch vor zehn Jahren konnte dabei die Landung in den frühen Fünfzigern als ziemlich sicher gelten. Heute ist das Terrain uneinheitlich, die Erkennungszeichen der Gegenwart häufen sich je nach Zielpunkt, insbesondere im Umkreis von Ereignissen mit „Weltniveau“ und hohem Technikanteil wie der Leipziger Messe. Der bei großen Ausstellungen unweigerlich eintretenden momentanen Orientierungslosigkeit habe ich diesmal ein Schnippchen geschlagen. Noch im West–Berliner Reisebus konnte ich in einer Broschüre über Fachvorträge während der Messe mein erstes Ziel entnehmen. Die NUKEM GmbH aus der BRD will über „Umwelttechnik, Abluft– und Abfalltechnik“ informieren. Pikant. Also hin. An der geschlossenen Tür zu Vortragsraum 2 werde ich beschieden, noch liefe eine andere Veranstaltung, und die Fristen würden hier „strikt“ eingehalten. Zur Auflockerung der Wartezeit bietet sich eine Runde durch die Halle an. Hier präsentiert sich das Gastgeberland DDR mit seinen neuen Technologien und setzt Messestandards. „Der Effekt - Die Referenz - Das Ergebnis“ rastern die volkseigenen Kombinate die Informationen über ihre Exponate. Vertreten sind Anlagenbau (VEB SKET), Luft– und Kältetechnik (VEB ILKA), der Bereich Wasseraufbereitung und Abwasserbehandlung und Kraftwerkstechnologien. Immer steht an erster Stelle der Vorteilsliste von neuen Produkten und Verfahren die Steigerung der Arbeitsproduktivität - selten unter 500 Prozent - gefolgt von Energieeinsparung. Mittlerweile schon auf Platz drei die Verminderung der Umweltbelastung - jedenfalls als Argumentationslinie. Auffällig viele Modelle werden gezeigt, das Interesse am Produktionsprozeß en miniature ist groß, nicht nur bei Kindern und Jugendlichen. Aber schon deutet sich die Wende zur Freizeitgesellschaft auch hier an: am meisten umlagert ist das Modell der Bob– und Rennschlittenbahn von Calgary, „Know How und Engineering VEB ILKA“ ist zwischen diversen Monitoren zu lesen, auf denen Video–Clips mit den Medaillen–Tägern der Republik bei der letzten Winterolympiade ablaufen. Vor Raum 2 ist Schichtwechsel. Artig geben die Interessenten ihre Garderobe ab. Im Saal noch eine kurze Einsatzbesprechung der dreiköpfigen NUKEM–Mannschaft, dann läuft ihr Programm ab. Zuerst ein kleiner Exkurs in Sachen „offensive Offenheit“: „Unsere Firma brauche ich ja nicht vorzustellen, sie ist ja durch die Medien hinlänglich bekannt.“ Auf diese Inhalte mag Herr Lattemann, zuständig für Marketing und Vertrieb, aber jetzt nicht eingehen, ist jedoch „selbstverständlich“ später in der Diskussion zu allerhand Auskünften bereit. Das ist aber leider gar nicht nötig, denn das überwiegend aus der DDR kommende Fachpublikum will gar nichts wissen, gefragt wird wenig und nur von Wessis. Schade, die beiden Vorträge über die Entsorgung von im Zuge der Umweltschutzauflagen anfallend Am Ausgang betätigen sich die NUKEM–Herren als Abfang–Einrichtung. Auch hier keine Antwort darauf, ob die Firma denn garantieren könne, daß von ihr bearbeitete Schadstoffe nicht verschwinden oder vagabundieren. Die Herren sind sich auch uneins: Marketing behauptet, es gäbe kein Bermuda–Dreieck, Nukleare Entsorgungstechnik demonstriert späte Selbstkritik: „Da gab es auch Lumpereien...“, selbstverständlich jetzt alles abgestellt. Im übrigen: mit der taz, da müsse man ja unbedingt mal reden. So entstehen Weltbank–Kongresse. Da hilft nur ein schneller Szenenwechsel in den Sowjet–Tempel auf der anderen Straßenseite. Glasnost und Perestroika haben sich erstmal nur in der reichen Präsentation des Gorbatschow–schen Zitatenschatzes niedergeschlagen. Ansonsten ist die Halle total traditionell ausgestattet, Werkzeugmaschinen dominieren. Einen Publikumsmagneten mache ich beim Stromern über die Messe aus: Computer. Hier haben die Besucher ihre Lieblinge. Während bei „Commodore“ lange Warteschlangen vor den Demonstrations–PCs stehen, kann Siemens trotz des Mottos „Lieber gleich die Richtigen - Siemens PC“ anscheinend nicht überzeugen: völlige Leere am Stand. Umlagert sind auch die japanischen Firmen, an Mitsubishis Fernkopierer ist fast kein Durchkommen. Im Bereich Elektronik treiben auch DDR–Firmen offensives Marketing nach dem branchenprägenden West–Muster. Am weitesten fortgeschritten sind die Leute von Robotron. Das Standpersonal besteht aus gebräunten Computer–Yuppies im Firmendress, die auch bei Nixdorf nicht aus dem Rahmen fallen würden. Die potenziellen Anwender sind jedoch auch in der DDR noch reichlich skeptisch gegenüber einer elektronischen Hexenküche in „ihrem“ Betrieb. Und die neue Kaste der Elektronik–Experten ist auch nicht gerade beliebt beim Rest der Klasse. Zu schön, zu quick und den Vorsatz VEB lassen sie auch zu oft unter den Tisch fallen, war zu hören. Das größte Kontingent ausländischer Aussteller kommt aus der Bundesrepublik. Gert Ulrich, Leiter der Außenwirtschaftsabteilung der Industrie und Handelskammer Bonn, kommt schon seit Leipzigeinundleipzig zur Messe - was genau 18 Jahre ausmacht - und findet, daß die Bürokratie in der DDR immer noch reichlich schwerfällig ist. Perestroika, so Ulrich, findet auch deswegen nur langsam Interesse, weil die DDR– Leutchen glaubten, das hätten sie doch alles schon. Allerdings hätte die Entwicklung in der Sowjetunion mit Sicherheit indirekt erhebliche Auswirkungen, denn dadurch entstünde ein massiverDruck für die DDR, mit ihren Produkten dem Weststandard der von Gorbatschow anvisierten neuen Lieferanten und Handelspartner zu entsprechen. Die eigenen Messeaktivitäten beurteilte Gert Ulrich als sehr positiv. Auch wenn Leipzig keine eigentliche Order–Messe sei, werde hier das Vorfeld für Aufträge bearbeitet, von DDR–Seite eine unabdingbare Vorbedingung für spätere Abschlüsse. 1987 hatten 30 Firmen vom NRW–Stand immerhin für 18,6 Millionen Aufträge direkt von der Messe mitnehmen können. Georgia Tornow