Iraks Mirages brachten den Gift–Tod

■ Iran meldet neue irakische C–Waffen–Angriffe auf Kurdendörfer / Halabja im Nordirak bietet ein Bild des Grauens / Journalisten bestätigen Berichte über irakische Giftgas–Einsätze / Unter den Opfern sind fast ausschließlich Einwohner der kurdischen Stadt

Halabja (wps) - Als reinen Racheakt der Iraker haben Kurden und Iraner den Einsatz chemischer Waffen gegen die Stadt Halabja bezeichnet. Dies berichteten westliche Journalisten, die erstmals seit dem Giftgasbombardement vom vergangenen Mittwoch die Kurdenstadt im Norden des Irak besuchen konnten. Die Revolutionsgardisten Khomeinis und irakische Kurden hatten den Ort kurz zuvor erobert. Am Dienstag meldete die iranische Nachrichtenagentur IRNA einen weiteren gegnerischen Giftgasangriff auf drei Dörfer nahe der iranischen Kurdenstadt Marjan. Iran hatte bereits am Montag die UNO aufgefordert, die Vorwürfe über den Einsatz von C– Waffen zu untersuchen. Siehe Augenzeugenbericht auf dieser Seite Kommentar Seite 4 Von David Hirst

Wir wurden mit Gasmasken ausgestattet und erhielten eine hastige Gebrauchsanweisung. Was wir dann in Halabja, 25 Kilometer von der iranisch–irakischen Grenze entfernt, sahen, war der gräßliche Grund für diese Vorsichtsmaßnahme. Keine Wunden, kein Blut ist an den Körpern der Männer, Frauen, Kinder und Tiere zu sehen, die in Häusern und auf Straßen der vom Iran besetzten Kurdenstadt Halabja im Nordirak herumliegen. In arabischen Schriftzügen ist noch die Rede von „Grüßen, Liebe und Wohlstand für den Präsidenten und Führer Saddam Hussein“ oder „Tod dem Aggressor“. Doch es waren nicht iranische, sondern irakische Kampfflugzeuge, die der Kurdenstadt den Tod brachten, als sie die von Iran zuvor eroberte Stadt bombardierten. Die Haut der Toten ist seltsam verfärbt, die Augen, soweit sie nicht in ihren Höhlen verschwunden sind, starren ins Leere, ein grauer Schleim ist aus dem Mund getreten, die Finger im Krampf erstarrt. Der Tod hat die Einwohner der 70.000–Seelen–Stadt mitten in ihren täglichen Beschäftigungen überrascht. Einige haben es bis zur Haustür geschafft, nur um einige Schritte weiter zusammenzubrechen: eine Mutter in der letzten Umarmung ihrer Kinder, ein alter Mann, der einen Säugling mit seinem Körper zu schützen suchte. Die Iraner sagen, die irakischen Kampfflugzüge hätten Zyanid abgeworfen. „Eine Bombe enthält 100 Liter“, erklärt der Arzt Sayyid Furutan, „an einem kalten Tag kann sich der Dampf schnell auf einer Fläche von 500 Metern verbreiten. Die Menschen hatten keine Chance.“ Er deutet auf die Reste eines Zyanid–Behälters, der ein Dach durchschlagen hat, ohne die bei einer Explosion üblichen Spuren zu hinterlassen. Nach Futuran wurden in der anderen Stadtteilen auch Nerven– und Senfgas abgeworfen. „Wenn Opfer von Nervengas schnell behandelt werden, kann man sie retten, und wir haben viele gerettet“, fügt er hinzu. Das Senfgas, das Haut und Lunge verbrennt, hat viele Opfer gefordert. Die Iraner beziffern die Zahl der Getöteten und Verletzten auf mehrere tausend - mit Ausnahme einiger Revolutionsgardisten, die ihre Gasmasken nicht schnell genug aufsetzen konnten, alles Kurden aus der Stadt. Die meisten Einwohner Halabjas, das keinerlei strategische Bedeutung hat, waren in der Stadt geblieben, als die iranischen Truppen am Mittwoch einrückten. Einige jedoch, die das Vorgehen der Regierungstruppen in Hunderten von Kurdendörfern kannten, hatten Angst. „Ich habe mich gewundert, warum sich soviele in einer Tabakfabrik versteckt haben, als wir in die Stadt gekommen sind, ohne einen einzigen Schuß abzufeuern“, meinte ein iranischer Journalist. Die Erklärung bekam er, als um 18.30 des gleichen Tages die irakischen Mirage französischer Bauart ihre tödliche Ladung brachten.