Masters Panik–Report: Aids vom Salatteller

■ „Krise“: Ein in den USA neu erschienenes Buch warnt, daß Aids sich rasch unter Heterosexuellen verbreitet / Autoren Masters und Johnson unter Beschuß

Von Silvia Sanides

„Das Aids–Virus grassiert unter Heterosexuellen, und falls nichts getan wird, um diese globale Epidemie einzudämmen, sehen wir Todeszahlen entgegen wie sie die Erde noch nicht erlebt hat.“ Düstere Schlüsse dieser Art über den Stand der Aids–Epidemie ziehen sich durch ein neues Buch, das in den vergangenen Wochen lebhafte Auseinandersetzungen in den USA entfacht hat. Die Autoren des Buches „Crisis. Heterosexual Behavior in the Age of Aids“ (Krise. Das Verhalten der Heterosexuellen im Zeitalter von Aids) sind die bekannten Sexualitätsforscher William Masters und Virginia Johnson. Deren Ansehen ist allerdings seit Erscheinen des Buches schwer angeschlagen, denn fast alle mit Aids beschäftigten Wissenschaftler und Politiker haben „Crisis“ scharf kritisiert. Masters und Johnsons Bestandsaufnahme ist erschreckend: Nicht 1,5 Millionen, wie offizielle Schätzungen lauten, sondern drei Millionen Amerikaner seien laut „Crisis“ bereits mit dem Aids–Virus infiziert. Trotz des Aids–Antikörpertests sei das Risiko, durch eine Bluttransfusion infiziert zu werden, fünfzig mal größer als bisher angenommen. Kondome gewährten keinen sicheren Schutz vor Infektion, und Übertragungen durch nicht–sexuelle Kontakte seien möglich, behaupten die Sexualitätsforscher, von der Klobrille bis zum Salatteller. „Unverantwortlich“, „Angstmacherei“ kritisierte der US–Gesundheitsbeauftragte Everett Koop die Krisenbeschwörung von Masters und Johnson. Die konterten: „Wir sind aufs tiefste über die Verbreitung von Falschinformationen über Aids und die Haltung in Regierungskreisen bestürzt.“ Die Kritiker sind sich einig: es fehle Masters und Johnson an einer soliden Basis für ihren pessimistischen Standpunkt. Die „Crisis“–Autoren leiten ihre Schlüsse nur zu einem geringen Grad aus einer eigenen neuen Studie ab. Hauptsächlich legen sie bereits bekannte Studien und Daten neu und negativer aus. Auf die Frage, wie er denn zu dieser Einschätzung komme, mußte Masters in einem Interview passen: „Ich glaube das einfach“, erklärte der berühmte Forscher. Bisherige Untersuchungen an Heterosexuellen, zum Beispiel an Blutspendern und Armeeangehörigen haben aber lediglich eine Infektionsrate von 0,2 Prozent ergeben. Aids–Experten warnen, die Masters und Johnson–Studie sei in keiner Weise repräsentativ für die amerikanische Gesamtbevölkerung. In der Tat stammen eine hohe Zahl der Testpersonen aus den Aids–Hochburgen New York und Los Angeles. Schärfste Kritik haben sich Masters und Johnson jedoch für ihre Vorschläge zur Seuchenpolitik gefallen lassen müssen. So wollen sie, daß breite Bevölkerungsteile - Schwangere, Hochzeitsanwärter, Krankenhauspatienten - sich einem HIV–Test unterziehen. Alle bisherigen Bemühungen mit derartigen Tests haben sich jedoch als Fehlschlag erwiesen. So müssen sich seit Anfang dieses Jahres im Bundesstaat Illinois alle Paare vor der Trauung testen lassen. Be reits nach kurzer Zeit zeigte sich, daß das Programm lediglich ohnehin knappe Ressourcen für Personen verschwendet, die sie am wenigsten benötigen. Die Anzahl der mit diesem Testprogramm ermittelten Infizierten lag Ende Januar bei Null. Baseball nur mit Kondomen? Besonderen Anstoß erregen jene Teile des Buches, in denen es um die Übertragungsweisen des Aids–Virus geht. Ein Kapitel mit dem Titel „Kann man Aids von der Klobrille bekommen?“ schürt nur noch Panik. Detailliert wird geschildert, wie das Virus durch Blut auf der Klobrille, im Salat im Restaurant, beim Küssen oder gar beim Baseballspiel übertragen werden kann. Zwar wiederholen die Autoren des öfteren, daß die Chance einer Ansteckung auf diesen Wegen praktisch ausgeschlossen ist, doch das hindert sie nicht daran, die theoretischen Infektionswege mit viel Liebe am Detail zu beschreiben. Über 50.000 Aids–Fälle hat es bisher in den USA gegeben, und, dies ermittelte das US–Institut für Seuchenkontrolle kürzlich, nicht einer wurde durch die in „Crisis“ beschriebenen „theoretisch möglichen“ Kontakte verursacht. „Solche groben Fehler lenken von den besseren Seiten des Buches ab“, meint denn auch Paul Volberding, Vorsitzender der Aids–Abteilung am San Francisco General Hospital. Volberding warnt jedoch: „Dies ist ein tödliches Virus. Und es hat sich fest in der heterosexuellen Gemeinde etabliert. Es wird sich langsam vermehren, ich kann keinen Grund finden, daß es sich nicht weiterverbreitet. Das mag zehn, zwanzig oder dreißig Jahre dauern. Wir können unsere Augen schließen, aber es wird nicht verschwinden. Eine Explosion des Aids–Virus unter Heterosexuellen ist und war immer unwahrscheinlich.“ Doch daß sich Heterosexuelle, neuerdings auch durch die Medien ermuntert, in falscher Sicherheit wiegen, besorgt ihn. So gab die Zeitschrift Cosmopolitan, Bibel der weiblichen Schickeria, im Januarheft Entwarnung: Frauen könnten ganz unbekümmert ihrem Sexualleben nachgehen, da die Ansteckungsgefahr quasi bei Null liege. Die Arbeit der Krisenautoren Masters und Johnson geriet allerdings in der vergangenen Woche noch aus anderem Grund ins Zwielicht. Im vergangenen Oktober, so berichtete die Zeitung Wall Street Journal, erhielt Masters Forschungsgelder vom Pharmakonzern „Ortho Pharmaceutical“ in Höhe von 25.000 Dollar für die Entwicklung eines Produkts gegen die heterosexuelle Übertragung von Aids. Das Produkt, das ähnlich wie ein Spermizid wirken und das Virus in der Scheide abtöten soll, will „Ortho Pharmaceutical“ so schnell wie möglich auf den Markt bringen. Je mehr Menschen in Aids–Panikstimmung verfallen - geschürt durch das Krisenbuch - desto besser der zukünftige Absatzmarkt für Orthos Viruskiller. Masters bestreitet solche ökonomischen Interessen. „Ich bin entsetzt über die Ausweitung dieser Seuche und werde alles tun, um sie zu verhindern“, so Masters in einem Interview, und er fügte hinzu: „Nur aus dem Grund nehme ich es hin, von allen Seiten gebeutelt zu werden.“