Grüne Stromleitungen durch die City

■ In Offenbach stimmte die Fraktion der Grünen für den Bau einer 100.000–Volt–Trasse mitten durch die Stadt / Widerstand in der eigenen Partei / Gesundheitsschäden durch Starkstromleitungen?

Aus Offenbach Michael Blum

„Ich dachte, mich trifft der Schlag“, beschreibt Gerhart Ullrich seine Gefühle, als er von der Zustimmung der grünen Fraktion zu einer Hochspannungstrasse mitten durch die City von Offenbach erfuhr. Der ehemalige Vorständler des Offenbacher Kreisverbandes der Öko–Partei kämpft seit einigen Tagen in einer Bürgerinitiative für die Zurücknahme dieses Beschlusses. „Auch ohne Fachwissen hätte doch klar sein müssen, daß eine 110.000 Volt– Leitung zur Stromversorgung der S–Bahn nicht durch die gesamte Innenstadt gehen kann“, mutmaßt er. Offensichtlich war dies nicht klar: Vor Jahresfrist stimmte die Umweltschutzpartei gemeinsam mit den in der Stadtverordnetenversammlung sitzenden VertreterInnen der SPD, CDU und FDP für das Bundesbahnbegehren. Lediglich ein FDP–Mann zeigte damals, was er von dem 3,5 Kilometer langen und 3 Millionen Mark teueren Projekt hält - er verließ rechtzeitig vor der Abstimmung den Plenarraum. Vom Westen Offenbachs schnurstracks gen Osten verläuft die Bahnstrecke Frankfurt–Hanau. „An ihrem Bahndamm sollen die 21 Masten mit einer Höhe von bis zu 35 Metern und einer Breite von zwölf Meter entstehen“, erklärt das grüne Bauausschuß–Mitglied Ullrich, während einmal mehr ein Zug hinter uns vorbeirast. Der streitbare Grüne hat Glück: Zwischen seiner Wohnung und der Bundesbahnstrecke sind noch einige Meter Garten. Andere wohnen näher dran, Fenster an Fenster mit den Zugreisenden, und nach dem Willen von Bahn und Stadtparlament bald in direkter Nachbarschaft zu einem Stahlkoloß. „Von den technischen Gefahren abgesehen, sind die gesundheitlichen Schäden durch ein solches Projekt gar nicht abschätzbar, ja teilweise noch gar nicht erforscht“, sagt Ullrich. Seinen MitstreiterInnen bei den Offenbacher Grünen gesteht er immerhin zu: „In diese Gefährdung muß man sich erstmal einarbeiten.“ Dennoch, ohne Rücksprache mit den Mitgliedern hätte die Fraktion nicht zustimmen dürfen, meint er. Und erst recht nicht nach der Vorlage eines Kurzgutachtens. Dreitausend Mark kostete das Arbeitsergebnis des Saarbrückener Professors für Energieversorgung, Hans–Jürgen Koglin. Der, so hat Bürgerinitiativler Ullrich rausgefunden, sei seit Jahren als Befürworter von so bezeichneten Freilandleitungen bekannt. In seinem Gutachten für die rot–grünen Regierungspartner bleibt eine mögliche Gesundheitsgefährdung außen vor. Die gibts ohnehin nicht, weiß die Bundesbahn in eigenen Gutachten zu berichten. Und Bahn–Begutachter Herbert Baatz aus Stuttgart kommt zum Ergebnis, daß ein „Tribut an den Fortschritt“ zu zahlen sei. Den wollen die Umweltschützer aber auf keinen Fall zollen: „Jüngste Untersuchen legen den Schluß nahe, daß es in der Nähe von Stromleitungen zu erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen kommt. Eine Studie von Wulf–Dietrich Rose (“Engergiestreß“) bringt am Beispiel Hamburgs Fälle von „plötzlichem Kindstot“ mit Hochspannungsanlagen in Verbindung, sagt Ullrich. Und ergänzend zitiert er den Hochspannungsleitungsfachmann Heinz Steinig: „Durch die Hochspannungsleitung wird das natürliche Luftgemisch elektrisch aufbereitet und zerstört. Die abstrahlenden Energiefelder“ führen zu einer Art Föhnwetter, nur schlechter, und dies tagein–tagaus. Ullrich: „Die grüne Fraktion muß auch mal lernen, eine Entscheidung zu revidieren.“