I N T E R V I E W Die „zivilitärischen“ Supergifte

■ Der Kieler Toxikologe Prof.Ottmar Wassermann über Pestizide und C–Waffen

taz: Die Frankfurter Anlagenbau–Firma „Lurgi“ baut im Iran als Projektleiter eine Pestizid–Fabrik und wird deshalb beschuldigt, der Produktion chemischer Waffen Vorschub zu leisten. Gibt es - analog zur Atomenergie - auch in der Chemie eine Verquickung von ziviler und militärischer Nutzung? Prof. Wassermann: Die Atomwirtschaft wird zu Recht als „zivilitärisch“ bezeichnet, und der gleiche Ausdruck müßte auch auf die Pestizid–Produktion übertragen werden. Die heutigen chemischen Waffen sind direkt aus den Pestiziden heraus entwickelt worden. Und umgekehrt sind die ersten Pestizide - historisch betrachtet - nichts anderes als auf den zivilen Markt gebrachte und entsprechend veränderte chemische Waffen. Um ein Beispiel zu nennen: Die Restbestände an Agent Orange aus dem Vietnamkrieg wurden in Brasilien in der Landwirtschaft eingesetzt. Könnten Sie der Einschätzung zustimmen, daß jedes Land mit einer Produktion an Pestiziden auch die Mittel in der Hand hat, um chemische Waffen herzustellen? Das ist absolut richtig. Und man muß auch wissen, daß für die Synthese von extrem hoch wirksamen chemischen Substanzen, zu denen die Nervengase und andere chemische Waffen gehören, daß dazu keine besonders hohe chemische Intelligenz erforderlich ist. Jeder gut ausgebildete Chemie–Laborant ist in der Lage, solche Stoffe zu synthetisieren. In der Atomindustrie gibt es den Versuch, bestimmte sensible Güter und Stoffe unter die internationale Kontrolle zu stellen. Wäre so etwas in der Chemie denkbar? Die Handelswege der Ausgangssubstanzen für chemische Waffen sind nicht kontrollierbar. Sie können ja beispielsweise Äthanol oder Phosphorsäure - das sind solche handelsüblichen Ausgangsprodukte für C–Waffen - nicht verbieten. Und das ist das Problem: Nach dem Baukasten–Prinzip werden aus völlig harmlosen Einzelstoffen hochwirksame Einzelstoffe synthetisiert. Eine Kontrolle wäre nur dann möglich, wenn in den Betrieben vor Ort von einer unabhängigen Kommission von Chemikern und Toxikologen ohne Voranmeldung nachgeprüft wird, was da synthetisiert wird. Wenn ein Land wie der Iran, das selbst auf grausame Weise von chemischen Kampfstoffen bedroht ist, das nachweislich mit Senfgas–Bomben bombardiert wurde, wenn solch ein Land, das auch noch öffentlich angekündigt hat, sich selbst chemische Waffen zu besorgen, wenn dieses Land jetzt eine Pestizid–Fabrik baut, läuten dann bei Ihnen die Alarmglocken? Der Verdacht ist außerordentlich hoch, daß solche Fabriken in der Hand von moralisch unterentwickelten Ländern mißbraucht werden. Lurgi behauptet, daß wegen der unmittelbaren Nähe der Fabrik zur Hauptstadt Teheran eine Kampfstoff–Produktion nicht denkbar ist. Wenn Sie an die chemische Industrie der Bundesrepublik denken, ist dieses Argument widerlegt. Auch bei uns werden hochwirksame Pestizide in einer extrem dicht besiedelten Region produziert. Denken Sie an Leverkusen oder denken Sie an Bhopal. Warum soll das in Teheran dann nicht möglich sein? Interview: Manfred Kriener