Israel spricht Vanunu schuldig

■ Dem Atomtechniker droht lebenslange Haft / Strafe für seine Veröffentlichung über Israels Atomfabrik

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Seine Veröffentlichungen in der Sunday Times über die israelische Atomfabrik Dimona haben weltweit für Schlagzeilen gesorgt - im eigenen Land rief der Prophet, der seine Mitmenschen auf die atomare Gefahr hinweisen wollte, vergeblich: Der ehemalige Atomtechniker Mordechai Vanunu wurde am Donnerstag von einem Bezirksgericht in Jerusalem hinter verschlossenen Türen in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Wegen Spionage, Landesverrat und Kollaboration mit dem Feind droht dem 33jährigen eine lebenslängliche Haftstrafe. Die Urteilsverkündung ist für Sonntag festgesetzt worden. Danach will der Verteidiger Vanunus, Avigdor Feldman, vor dem Obersten Gerichtshof Berufung einlegen. Vanunu, der neun Jahre in dem atomaren Forschungsreaktor Dimona gearbeitet hat, ging vor zwei Jahren nach Australien, wo er zum Christentum konvertierte. Anschließend ließ er sich in London nieder. Seine Probleme fingen dann mit einer Zeitungsausgabe vom 5.Oktober 1986 an. Fortsetzung auf Seite 2 Damals veröffentlichte die Sunday Times seine Informationen über die Fabrik von Dimona, wo Vanunu zufolge Atomwaffen hergestellt werden. Eigenen Angaben zufolge wurde er kurz darauf nach Rom gelockt und von israelischen Agenten verschleppt. Nach längerem Stillschweigen gab Israel schließlich zu, daß Vanunu im Gefägnis in Einzelhaft sitzt. Nur nahe Verwandte konnten ihn von Zeit zu Zeit besuchen. Während die israelischen Medien Rufmord betrieben, gab es in der Öffentlichkeit praktisch keine Debatte über das Thema Vanunus: die Atommacht Israel. In einem Brief aus dem Gefängnis beklagte sich der Beschuldigte bitter darüber. Der als „Spion für die Öffentlichkeit“ bezeichnete Physiker wies darauf hin, daß es sein Ziel gewesen sei, die Aufmerksamkeit der Israelis auf die atomaren Gefahren in der Region zu lenken. Israel hat Vermutungen, das Land sei im Besitz der Atombombe, nie bestätigt oder bestritten. Nach der letzten, fünfminütigen Sitzung des Gerichts sagte einer der Brüder Vanunus am Donnerstag, er sei überrascht, daß Mordechai der Spionage schuldig befunden wurde. „Wir haben erwartet, daß der Angeklagte wegen der Weitergabe von Informationen an nicht autorisierte Personen verurteilt wird, aber nicht, daß die Richter ihn der Kollaboration mit dem Feind oder des Verstoßes gegen die Sicherheit des Landes schuldig sprechen“, meinte Asher Vanunu. Mordechais älterer Bruder Meir hat mittlerweile in Großbritannien politisches Asyl beantragt, da er von den israelischen Behörden gesucht wird. Sie nehmen ihm seine Bemühungen im Ausland übel, Anhaltspunkte für die Entführung seines Bruders nach Israel zu suchen. Damit könnten Großbritannien oder Italien gerichtlich gegen die Kidnapper vorgehen. Die israelischen Behörden haben sich stets in Schweigen gehüllt, wie Vanunu nach Israel gelangte. Das Gericht in Jerusalem, vor dem der Fall seit dem 30.August letzten Jahres verhandelt wurde, hatte ebenfalls entschieden, dieses Problem auszulassen. Ausgeklammert wurde auch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Vanunus Aussagen gegenüber der Sunday Times.