Von der Strategie des „affidamento“

■ Luisa Muraro und die Gruppe der „Libreria delle Donne“ in Mailand : Mit ihrem Manifest über die Geschlechterdifferenz machten sie Furore

Luisa Muraro, 1940 als sechste von elf Kindern geboren, arbeitete bereits als Stipendiatin der katholischen Universität Mailand für die renommierten philosophischen Zeitschriften Nuova Corrente und Aut Aut. 1968 wurde ihr Stipendium gestrichen, weil sie an einer Universitätsbesetzung teilgenommen hatte. Sie mußte ihren Lebensunterhalt als Lehrerin verdienen und gründete zusammen mit Kollegen die pädagogikkritische Zeitschrift Lerba voglio. 1972 kehrte Luisa Muraro als Wissenschaftlerin an die Universität Padua zurück, wo sie über Theorie und Geschichte weiblichen Denkens, dann insbesondere über linguistische Probleme forschte. In dieser Zeit nimmt sie mit feministischen Gruppen in Mailand Kontakt auf: 1975 wird die Libreria delle Donne gegründet, der Frauenbuchladen in der Via Dogana, der sich zum feministischen Forschungs– und Diskussionszentrum entwickelt. Für Aufregung sorgte diese Gruppe 1983 mit ihrem provokanten Manifest „Piu donne che uomini“ (– Mehr Frauen als Männer.) Das Manifest wurde in Auszügen zunächst im Pflasterstrand und in der taz veröffentlicht. 1986 erschien es neu bearbeitet und in der „von den Mailänder Frauen autorisierten „Übersetzung“ in der Schwarzen Botin (30/1986). Darin wird die von den Mailänderinnen entworfene weibliche Lebens– und Beziehungsform, das „affidamento“ - zu deutsch etwa „sich Anvertrauen“ -, theoretisch begründet und als feministische Strategie proklamiert. Ausgangspunkt des Entwurfs ist die Erfahrung von Frauen, eine Position in der Gesellschaft nur behaupten zu können, wenn sie ihren Körper und spezifisch weibliche Empfindungen aus dem Spiel lassen. Die Geschlechterdifferenz bestimmt Denken und Wirklichkeit. Insofern gilt es, Frausein nicht mehr als Mangel zu akzeptieren, sondern das Fremdheitsgefühl der Frauen in der Welt durch offensives Anderssein zu ersetzen. Die Differenz der Körper, die den jahrhundertelang gültigen Maßstab der Männer körpers bricht, eröffnet so jeder Frau die Möglichkeit, zu einem Wohlbehagen in der Welt zu gelangen. Die eigentliche Provokation des Manifestes liegt jedoch darin, daß die Verschiedenheit auch die Ungleichheit und damit Unter– bzw. Überlegenheit innerhalb von Beziehungen unter Frauen impliziert. Die Würdigung einer Frau durch eine andere begründet erst deren Wert, gibt der anderen aber dadurch die Möglichkeit, sich auf die übergeordnete Frau zu stützen, sich ihr anzuvertrauen. Eine Hierarchie wird entworfen, nicht als Ziel, sondern als praktische Strategie gegen die Angst, in einer Männerwelt prinzipiell unterlegen zu sein. Die Polemik dieses Differenzdenkens richtet sich gegen die angenommene Gleichheit aller Frauen als unproduktive, falsche Bescheidenheit. Das „affidamento“, wohl nicht zufällig in den akademischen Diskussionen der Frauenbewegung, will das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden mit Gefühls– und Liebesbeziehungen koppeln, um weibliche Produktivität freizusetzen, die sich jen seits des männlichen Wettkampfes behaupten kann. Der Entschlossenheit der Thesen korrespondiert die Sprache. Überschriften wie „Der Wille zu siegen“, „Der Kampf ums Wohlbehagen“ oder „Im Licht eines lebendigen Begehrens“ mußten insbesondere die sozial– und autoritätskritischen Vertreterinnen der Frauenbewegung brüskieren. Rossana Rossanda, wohl die schärfste Kritikerin Luisa Muraros in Italien, sieht in dieser Lösung der Probleme von Frauen in der Männergesellschaft schlicht einen Kurzschluß von sozialer Frage und weiblicher Erfahrung. Die Frauen aus dem Mailänder Buchladen, der übrigens im Unterschied zu der mitunter plüschigen, aber immerhin behaglichen Athmosphäre der Frauenbuchläden hierzulande eine recht asketische Kühle verbreitet, behaupten die Machbarkeit ihrer theoretischen Entwürfe in ihren Publikationen (zuletzt in dem Buch „Non credere di avere dei diritti“: „Glaubt nicht, ihr habt Rechte“, Mailand, 1987) sondern auch in ihren eigenen Beziehungen. Daß Luisa Muraro im Wesentlichen die Schreiberin der Bücher ist, die auf kollektive Diskussionen zurückgehen, sehen sie nicht als Scheitern des Kollektivs, sondern als Gelingen ihrer Zusammenarbeit. Fragwürdig bleibt vieles an den Ausführungen. Nicht nur, daß diese feministische Umwertung aller Werte Begriffe wie Hierarchie, Kampf und Produktivität aus dem männlichen Paradigmenarsenal übernimmt, ohne sie im Hinblick auf die alles erst bewegende weibliche Erfahrung zu problematisieren. Auch die Beziehung des „affidamento“ scheint eher der Versuch - aber als solcher bewundernswert genug - Konkurrenzverhältnisse bewußt und damit nicht mehr zerstörerisch zu machen, als sie ein für alle mal aus der Welt räumen zu wollen. Insbesondere aber das Paradigma des „Wohlbehagens“, das als Körperzustand, mitunter als fast metaphysische Existenz in einer endlich von Frauen autonom gesetzten Welt beschrieben wird, ist eigenartig, wenn es jenseits der nun wirklich nicht behaglichen gesellschaftlichen Verhältnisse erfahren werden soll. Ob nicht auch das Unbehagen an den Verhältnissen produktiv sein könnte, ohne gleich als Leiden an der Welt, als dem Weiblichen zuschriebene Passivität paralysierend zu wirken? Ob die Strategie so subversiv ist, wie sie es von sich selbst behauptet, bleibt die Frage. Die Stärke des Ansatzes liegt ganz sicher darin, den alten Schwesternhabitus in Frage zu stellen. Während sich nämlich auch in der BRD Feministinnen in gehobene Stellungen (sicherlich immer noch lächerlich wenige im Vergleich zu Männern) und damit in Konkurrenzverhältnisse untereinander manövriert haben, während die Frauenbewegung auch ihren akademischen Flügel hat, dem sich soziale Fragen weniger als Erfahrungen denn als Forschungsgegenstand stellt, während das Wort von der solidarischen Betroffenheit nur noch notdürftig Fraktionen und Friktionen kittet, steht Theorie und Praxis des großen Unterschieds unter Frauen noch aus. Nun kommts eben wieder aus Italien. Ute Holl