Der Fässer–Krimi empört die Niederlande

■ Unter dem Naherholungsgebiet „Zeegersloot“ in Alphen am Rhein wurden 1978 und 1979 illegal 100.000 Fässer mit Giftmüll abgelagert / Verantwortlicher Spediteur meldet sich aus dem Untergrund / Hinweise auf illegale Praxis jahrelang ignoriert

Von Henk Raijer / -man–

Berlin (taz) - Auch die Niederlande haben jetzt ihre Fässer. Und ihren Skandal. Die Geschichte klingt eher nach einem schlechten Kriminalroman: Hochgiftige Chemikalien wurden von einem skrupellosen Geschäftemacher verschoben. Unter dem Golfplatz tickt die Zeitbombe. Die Behörden schlafen. Ein großer Unbekannter deckt alles auf. Der Missetäter verschwindet, zwei Lkw– Fahrer packen aus und 100.000 Gulden empören die Öffentlichkeit. Der Reihe nach: Auf dem Gelände einer ehemaligen Müllkippe in Alphen aan de Rijn befindet sich heute ein großangelegtes Naherholungsgebiet mit einem Golfplatz, Kinderbauernhof, Campingplatz und einer Wohnsiedlung. Doch seit vergangener Woche ist die Idylle empfindlich gestört, der Golfplatz gelegentlich sogar geschlossen. Mit elektromagnetischen Spezialgeräten sucht ein Forschungsteam systematisch Areale von jeweils 20 Quadratmetern ab. Ermittler fahnden nach schätzungsweise 100.000 bis 150.000 illegal abgelagerten Fässern mit Giftmüll aus der Industrie. Sie sollen von dem früheren Speditions– und Entsorgungsunternehmer Simon Kemp hier illegal abgelagert worden sein. Kemps Masche: Anstatt den Müll auftragsgemäß in Müllverbrennungsanlagen zu entsorgen, karrte er ihn nach Alphen und kippte ihn illegal ab. Von den Auftraggebern kassierte er allerdings die teuren Gebühren für die Müllverbrennung. Kemp machte seine illegalen Geschäfte in den Jahren 1978 und 1979, doch erst jetzt wurde alles ruchbar. Dabei hatte bereits 1980 ein Stadtrat aus Alphen wegen des Verdachts der illegalen Lagerung eine Anfrage im Gemeinderat gestellt. Doch im entscheidenden Augenblick bekamen seine Informanten kalte Füße und zogen sich zurück. Die Müll– Verschiebung blieb weiter im Dunkeln. Daran änderte auch der Bericht eines sozialistischen Abgeordneten nichts, der drei Jahre später, gestützt auf Hinweise aus der Bevölkerung, das illegale Abladen beklagte. Nachts seien „illegale Entsorgungen auf der Müllkippe“ beobachtet worden. Doch Bürgermeister Paats erkannte „keinen Handlungsbedarf“. Erst im Herbst vergangenen Jahres erhielt die Polizei dann den entscheidenden Tip. Ein bis heute unbekannter Mann, von dem man nur weiß, daß er in der chemischen Abfallszene zuhause ist, informierte die Polizeidirektion in Leiden und diese wiederum das Umwelt–Ministerium in Den Haag. Doch bis Anfang März passierte gar nichts. Erst als der Telegraaf den Skandal enthüllte, wurden die Behörden aktiv. Das Ministerium sah bisher angeblich keinen Grund für Sofortmaßnahmen, da „für die Bevölkerung keine akute Gefahr besteht“. Die Presse habe die Angelegenheit „unnötigerweise“ ins Rollen gebracht. Direktor van Dop aus der Abteilung für Umweltvergehen des Ministeriums verfügte jedenfalls schon im Herbst 1987 über ein umfangreiches Dossier mit Angaben über mindestens 15 Unternehmen, deren giftiger Müll in Alphen illegal abgeladen worden war. Über Informanten, denen van Dop 100.000 Gulden als Köder in Aussicht gestellt hatte, erfuhren die Behörden genau, woher die Stoffe kamen und in welchem Umfang sie wo abgelagert worden sind. Die versprochenen 100.000 Gulden haben die Informanten allerdings nie gesehen. Sie wurden mit 750 Gulden wieder nach Hause geschickt: außer Spe sen nichts gewesen. Van Dop weiß nichts mehr von 100.000 Gulden. Er habe immer nur von 100.000 Fässern gesprochen. Ausgepackt haben inzwischen auch zwei Fahrer von Kemp, die wegen der Gift–Transporte von „Gewissensbissen“ gepeinigt wurden. Die Fahrer gaben zu Protokoll, daß sie Plastikfässer mit Totenkopf–Emblemen „manchmal bis zu zehnmal pro Woche und meist in den Abend– und Nachtstunden“ nach Alphen transportiert hätten. Dabei seien sie niemals kontrolliert worden. Der Müll kam vor allem von Ford Niederlande, von der Computerfirma Oce van der Grinten, vom Chemiemulti Billiton und von der Uniklinik Leiden. Bei der Firma Billiton in Arnheim wurden Rechnungen gefunden, aus denen hervorgeht, daß Spediteur Kemp das Chemieunternehmen „von jeglicher Verantwortung des Verbleibs der Stoffe“ befreit hat. Oce erklärte inzwischen, man sei fest davon ausgegangen, daß Kemp die Abfälle ordnungsgemäß an eine Müllverbrennungsanlage in der Bundesrepublik geliefert habe. Wegen des schlechten Rufs von Kemp seien Firmenangestellte von Oce dem Giftentsorger allerdings in Privat–Pkw hinterhergefahren, um sich von der ordnungsgemäßen Abwicklung selbst zu überzeugen. Doch der Lkw sei ins hauseigene Zwischenlager von Kemp gefahren. Simon Kemp, Hauptperson des holländischen Giftmüll–Dramas und vor zwei Jahren von den Anteilseignern als Direktor–Eigentümer abgelöst, ist inzwischen abgetaucht. Von seinem unbekannten Aufenthaltsort meldet er sich in unregelmäßigen Abständen mit sogenannten Bulletins. Darin bestreitet er sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die Aussagen der beiden Fahrer und die Kunden liste bezeichnet er gar als absurd. Kemp ist den Ermittlern kein Unbekannter: Im Herbst 87, als die Polizei den entscheidenden Tip bekam, soll es bereits ein „Kemp– Team“ gegeben haben, das den dubiosen Geschäftspraktiken des Unternehmens nachrecherchierte. Dennoch sind Kemps Karten gar nicht so schlecht. Denn noch ist unklar, ob er überhaupt belangt werden kann. Das Gesetz über die Beseitigung chemischen Mülls hat für Vergehen eine Verjährungsfrist von sechs Jahren, und die sind längst vorbei. Die Ermittler könnten ihn allenfalls wegen Urkundenfälschung und anderer Delikte zu fassen kriegen. Das niederländische Kabinett hat inzwischen einen Bericht über die Vorgänge beim Umweltminister geordert. Darin werden die Aussagen eines Anwohners der Deponie bestimmt nicht auftauchen. Der gab nämlich zu Protokoll, daß die Stadtverordneten aus Angst um den Ruf der Stadt den aufgebrachten Anwohnern mehrfach nahelegten, „über die Angelegenheit den Mund zu halten“.