Action Directe: Hungerstreik und kein Ende

■ Französische Intellektuelle fordern in einem Aufruf Aufhebung der Isolationshaft / Nach 117 Tagen Hungerstreik ist der Zustand der vier AD–Mitglieder kritisch / Die Angeklagten erhielten erneut eine Veneninfusion / Zynische Stellungnahme aus dem Justizministerium

Aus Paris Georg Blume

Heute sind es 117 Tage - der Hungerstreik von Jean–Marc Rouillan, Nathalie Menigon, Joelle Aubron und Georges Cipriani, den vier Führungsmitgliedern der französischen Untergrundorganisation „Action directe“ (AD), nimmt kein Ende. 50 Intellektuelle und Anwälte veröffentlichten am Mittwoch einen erneuten Aufruf und forderten die Aufhebung der Isolationshaft. Der Hungerstreik der AD–Angehörigen richtet sich in erster Linie gegen ihre Haftbedingungen. Die Unterzeichner des Aufrufs, zu denen unter anderen Marguerite Duras, Felix Guattari und Gilles Deleuze zählen, erklärten aber: „Die Situation ist total blockiert.“ Erstmals seit den Prozeßtagen im Februar konnte gestern die Pariser Tageszeitung Liberation genauere Informationen über den Gesundheitszustand der Hunger streikenden veröffentlichen. Nachdem die vier eine Zeit lang völlig die Nahrungsaufnahme verweigert hatten und daraufhin bedrohliche körperliche Verfallssymptome auftraten, haben sie offenbar einer erneuten Veneninfusion zwischen dem 12. und 20. März zugestimmt. Bei Rouillan waren zuvor Oedeme an den Beinen festgestellt worden. Menigon hat einen Teil ihres Tastsinns an den Händen verloren, Aubron litt unter Hörschwäche. Risiken bestehen vor allem durch die Dauer des Hungerstreiks fort: Selbst die kleinste Infektion kann für die Angeklagten tödlich sein. Zudem sind Sorgen über den psychischen Zustand der vier angebracht. Die Entschlossenheit zum Hungerstreik kann sich ab einer bestimmten Schwelle sehr schnell mit einem „selbstmörderischen Unterbewußtsein“ vermischen, erklärt Doktor Antoine Lazarus, ein Spezialist für Gefängnismedizin. Im französischen Justizministerium aber kümmert sich nach wie vor keiner um die erschreckenden Aussichten. Am Dienstag erdreistete sich das Ministerium zu einer Stellungnahme, derzufolge es den AD–Häftlingen inzwischen wieder besser gehe und kein Anlaß zur Sorge bestehe. Bisher sind Rouillan, Menigon, Aubron und Cipriani ausschließlich wegen der Zugehörigkeit zu einer „kriminellen Vereinigung“ und einigen Banküberfällen verurteilt. Die Schwurgerichtsprozesse wegen der Morde an Renault–Chef Besse und General Audran stehen noch aus. Derzeit ist unklar, ob Premierminister Chirac seinen erhofften Besse– Showprozeß noch vor den Wahlen erhält. Die Verteidigung hat aufgrund der Verfahrensweise vor Gericht während des Hungerstreiks Berufung bei dem obersten französischen Gericht, dem „cour de cassation“ eingelegt.