„Stamm der Autonomen“

■ SPD–Forum zur Gewalt bei Demonstrationen wurde von Polizeiexperten majorisiert / Der „schwarze Block“ im Visier der Deeskalationsstrategen

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) - Wie strukturelle Gewalt auf das Individuum einwirkt, erfuhr der als Referent zum SPD–Forum „Gewalt bei Demonstrationen“ in den hessischen Landtag geladene NRW–Innenminister Schnoor bereits an der Landtagspforte. Der Pförtner ließ den Minister nicht passieren, denn da könne ja jeder behaupten, er sei der Kaiser von China. In seinem Referat beschäftigte sich Schnoor dann allerdings weniger mit der strukturellen Gewalt, die in der Regel vom Staate ausgeht, als mit der Gewalt, die von dem zum neuen Feindbild avancierten „schwarzen Block“ ausgeht. Die bundesweit rund 2.500 „massiv militanten Autonomen“ trügen allerdings die Verantwortung dafür, daß die Landtagsfraktion der hessischen SPD glaubte, sich mit dem Phänomen der gewalttätigen Demonstrationen beschäftigen zu müssen. Die Idee zu diesem Forum, zu dem neben Schnoor der Psychologe Richter von der Uni Gießen, der Präsident des Oberlandesgerichtes in Braunschweig, Wassermann, und der Vorsitzende hessischen Gewerkschaft der Polizei (GdP), Koppmann, als Referenten geladen worden waren, wurde im hessischen Innenministerium nach den gewalttätigen Demonstration, infolge des Todes von Günther Sare Ende 86 geboren. Der hessische SPD–Vorsitzende Krollmann strukturierte denn auch die Linien des zweitägigen Forums: „Wir sollten darüber nachdenken, wie wir den wirklich gewaltfreien Widerstand als Element unseres demokratischen Systems akzeptieren können“, denn diese Akzeptanz - so der Tenor der Soziologen und Psychologen - sei die Grundvoraussetzung für die Verdrängung der Gewalt aus grundgesetzlich garantierten Demonstrationen. Doch die Referenten richteten sich in der Folge weniger nach Krollmanns Anregungen zur Diskussion als nach ihren mitgebrachten Konzepten, die sich - je nach Profession - an den „in der Praxis gewonnenen Erkenntnissen“ orientierten. Dabei kam GdP–Vertreter Koppmann zu dem Schluß, daß der „innere Frieden“ nur durch den Dialog mit dem „gewalttätigen Gegenüber“ (Arbeitsgruppe Polizei) wiederhergestellt werden könne. Doch was passiert, wenn sich das „gewalttätige Gegenüber“ allen Versuchen einer soziologischen, psychologischen, politischen und kulturellen Einordnung zu entziehen versteht, wie das die Angehörigen des „schwarzen Blocks“ nach den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe „Herkunft und Ursachen von Gewalt bei Demonstrationen“ zu tun pflegen? Die TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe beklagten vor dem Auditorium, daß es „keinerlei verläßliche Informationen“ über die Autonomen gebe. Die Ursachenforschung für die Gewaltbereitschaft der Angehörigen des „schwarzen Blocks“ müsse sich deshalb zwangsläufig im Bereich der Vermutungen bewegen: „Da fehlen wahrscheinlich Nestwärme und positive politische Autoritäten.“ „Gewalt in der Gesellschaft“ war dann auch das Stichwort für Dany Cohn–Bendit, der am zweiten Tag des Forums eine Diskussionsrunde mit einem Vertreter des Frankfurter Polzeipräsidiums und dem Hamburger Polizeipräsidenten Dirk Reimer bereicherte. Der als „demonstrationserfahren“ eingestufte Cohn–Bendit ging mit den Versammelten Sozialdemokraten und Polizeiführern hart ins Gericht: Wie auf einer Ethnologenveranstaltung hätten die Beteiligten versucht, sich einem unbekannten Stamm mit dem Namen „Autonome“ zu nähern. Die „Grundverlogenheit“ des gesamten Forums macht sich fest an der Tatsache, daß sich die Versammelten um den einzigen „Grundkontext“ herumgedrückt hätten, der im Zusammenhang mit den aufgeworfenen Fragen eine Existenzberechtigung gehabt hätte: „Gewalt existiert, solange die Menschheit existiert.“ Mit Leidenschaft plädierte Cohn– Bendit dafür, daß Politiker und Polizeiführer sich endlich auf demokratische Tugenden besinnen sollten, denn die „Unruhe“ sei der „Preis für die Demokratie“. Der Herausgeber des Pflasterstrand verwies auf das „Beispiel Frankreich“. Dort würden die Winzer regelmäßig zu den Gewehren greifen und die Bauern „gerne etwas anzünden“. Cohn–Bendit: „In Frankreich ist deshalb noch kein Mensch auf die Idee gekommen, sich explizit mit der „Gewalt bei Winzern“ zu beschäftigen oder nach neuen Gesetzen zu rufen. Der Hamburger Polizeipräsident Reimer erschreckte das Auditorium, das sich zwei Tage lang auf den „schwarzen Block“ eingeschossen hatte, zum Abschluß mit einer schlichten Feststellung: „Der Griff zur Gewalt ist in der Regel die Folge von Enttäuschungen. Und jeder hier im Saale ist fähig, Gewalt anzuwenden.“ Die meisten Journalisten hatten zu diesem Zeitpunkt die Veranstaltung allerdings schon verlassen - gewaltfrei.