Gauweilereien am Aachener Klinikum

■ Stellenbewerber und Medizinstudenten werden zum HIV–Test „praktisch genötigt“ / Wissenschaftsministerin Anke Brunn unter Beschuß / Liste mit Angaben über Infizierte hing im Klinikum offen aus / Strenge Isolation für alle Virusträger angeordnet / CDU–Abgeordneter Posdorf: „Frau Brunn hat Gauweiler rechts überholt“

Aus Düsseldorf J. Nitschmann

Transparenz fürchten die Beamten im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium wie der Teufel das Weihwasser. Wer dem Gruppenleiter für Hochschulmedizin, Arno Kaiser, mit Dokumenten kommt, die zweifelsfrei belegen, daß am Klinikum Aachen jahrelang rechtswidrig routinemäßige HIV–Reihenuntersuchungen ohne Einwilligung der Betroffenen durchgeführt wurden, den kanzelt der leitende Ministerialrat kurzerhand ab: „Das ist ein Bruch des Dienstgeheimnisses, wenn solche Briefe öffentlich gemacht werden.“ Eines dieser Dienstgeheimnisse ist ein vom 13. Juni 1986 datiertes Schreiben des Rektors der Aachener Hochschulklinik an Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD), in dem die Aufsichtsbehörde detailliert über die Durchführung der umstrittenen HIV–Tests unterrichtet wird. Von einer ausdrücklichen Einwilligung des Klinikpersonals und der Medizinstudenten zu den bei Einstellungen routinemäßig vorgenommenen HIV–Untersuchungen ist in diesem Schreiben ebensowenig die Rede wie von einer individuellen Information der Betroffenen: „Die Studenten sind durch Anschlag am Dekanatsbrett davon unterrichtet worden“, hieß es lapidar. Freilich war die Hochschulleitung bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar verunsichert, ob sie sich im Rahmen geltenden Rechts bewegte: „Sofern ihr Haus die Fortführung des Testes aus Rechts– oder sonstigen Gründen für nicht vertretbar erachten sollte, wäre die Hochschule für die alsbaldige Zuleitung eines diesbezüglichen Erlasses dankbar.“ Reagiert hat die Wissenschaftsministerin allerdings erst nach eindreiviertel Jahren, als das Klinikum Aachen von den Grünen und der örtlichen Aids–Hilfe wegen der „wahllosen Durchführung“ von HIV–Untersuchungen ohne die Information und Einwilligung der Betroffenen sowie die strenge Isolation HIV–infizierter Klinik–Patienten massiv angegriffen worden war. Mit einem Erlaß vom 23. Februar dieses Jahres ordnete Frau Brunn an, daß Aids– Tests am Aachener Klinikum künftig „nur mit Wissen und Willen der Betroffenen“ durchgeführt werden dürften. Zwischenzeitlich ist auch dieser Erlaß schon wieder überholt, nachdem die Wissenschaftsministerin binnen weniger Tage zu der Erkenntnis kam, daß eine generelle Einstellungsuntersuchung von Stellenbewerbern oder Studenten auf eine HIV–Infizierung „nicht sinn voll“ und „unverhältnismäßig“ sei. Deshalb forderte sie die Hochschulleitung auf, „ab sofort“ auf HIV–Tests gänzlich „zu verzichten“. In einem über 30seitigen Bericht mußte die Hochschulleitung Anfang vergangener Woche gegenüber dem Wissenschaftsministerium einräumen, daß es mit der Freiwilligkeit der von ihr durchgeführten Aids–Tests nicht eben weit her gewesen sei. Testunwillige Personen seien wie HIV–Infizierte einstuft worden. Da war selbst Brunn–Sprecher Uwe Küpfer erschrocken: „Diese unverhältnismäßigen Vorsichtsmaßnahmen sind nicht gerechtfertigt gewesen und stellen eine gravierende Einschränkung der Persönlichkeitsrechte dar.“ Stellenbewerber und Medizinstudenten seien in Aachen zum Aids–Test „praktisch genötigt“ worden, befand Knüpfer, weil sie andernfalls erhebliche Einschränkungen ihrer Studien– und Arbeitsmöglichkeiten hätten in Kauf nehmen müssen. Seit wann die Untersuchten über die umstrittenen Tests überhaupt informiert und seit wann um eine Einwilligung nachgesucht wurde, geht aus dem Bericht der Hochschulleitung nicht hervor. „Mit Sicherheit“, so der Sprecher des Wissenschaftsministeriums, seien die HIV–Tests seit dem „Frühsommer 1987“ nur noch mit Einwilligung der Betroffenen durchgeführt worden. Über den Zeitraum davor enthalte der Bericht des Hochschul–Rektorats „keine eindeutigen Aussagen“. Eindeutige Aussagen liegen zwischen der Aachener Staatsanwaltschaft vor, bei der mehrere Studenten den zuständigen Hochschularzt wegen Körperverletzung verklagt haben, weil dieser bei ihnen noch Ende vergangenen Jahres ohne Information und Einwilligung den HIV–Test durchgeführt haben soll. Zu diesen Vorgängen lehnt Frau Brunn einstweilen jede Stellungnahme mit Hinweis auf „ein schwebendes Verfahren“ ab. Noch im Sommer vergangenen Jahres hatte die Wissenschaftsministerin auf eine parlamentarische Anfrage des Aachener SPD– Landtagsabgeordneten Karl Schultheiß, ob bei den HIV–Tests am Klinikum alles mit rechten Dingen zugehe, geantwortet: „Die Untersuchten werden durch den Hochschularzt über die Durchführung der Tests unterrichtet. Der Test erfolgt nur, wenn der Betroffene vorher zustimmt.“ Testunwillige müßten keinerlei Nachteile in Kauf nehmen, hatte die Ministerin auf mündliche Nachfrage ergänzt. Der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU–Landtagsfraktion, Horst Posdorf, wirft der Ministerin „mangelnde Aufsichtspflicht“ vor, weil sie bereits Mitte 1986 von der rechtswidrigen Durchführung der Aids–Tests am Klinikum Kenntnis erhalten habe und dennoch nicht tätig geworden sei: „Alleine durch die Duldung dieser rechtswidrigen Praxis hat Frau Brunn den bayerischen Staatssekretär Peter Gauweiler in Sachen Aids noch rechts überholt“, betonte Posdorf bissig. Der CDU–Politiker will nunmehr solange mit parlamentarischen Anfragen gegen die Wissenschaftsministerin vorgehen, bis der Aachener Aids–Skandal „restlos aufgeklärt ist“. Einen solchen Aufklärungsbedarf sieht Brunn–Sprecher Knüpfer nach dem letzten Bericht der Hochschulleitung und dem jüngsten Erlaß der Ministerin nicht mehr: Mit dem Stopp der Aids– Tests sei die Sache erledigt. „Wir können ja von uns aus keine Kommissare ins Klinikum schicken“, reagiert Knüpfer eher ratlos. Und personelle Konsequenzen? Dafür gebe es keinen Anlaß. Die Grünen und die Aachener Aids–Hilfe monieren, daß im Düsseldorfer Wissenschaftsministerium jahrelang „geschlampt, geschludert und geschlafen“ worden sei. So habe die Klinikumsleitung mit Wissen der zuständigen Aufsichtsbehörde „ihre Gauweilereien unbeirrt fortsetzen“ können. Nach Darstellung der Aids– Hilfe ging dies so weit, daß noch bis vor 14 Tagen im Zentrallabor des Klinikums eine Liste aller HIV–infizierten Patienten, „selbst für Besuchergruppen einsehbar“, ausgehangen habe. Dies wiederum bestreitet die Hochschulleitung, räumt aber ein: „Wohl gibt es - allerdings an nicht einsehbarer Stelle im Zentrallabor - eine Liste sämtlicher Patienten mit Infektionskrankheiten. Das Vorhandensein einer solchen Liste erscheint sinnvoll, damit das Laborpersonal bei Einsendungen von Proben erfährt, ob es sich um infektiöses Material handelt, bei dessen Bearbeitung besondere Vorsicht geboten ist.“ Die von den Grünen und der Aids–Hilfe beklagte „strenge Isolation“ HIV–infizierter Patienten in Einzelzimmern des Klinikums erfolgt nach Angaben der Klinikum–Leitung in Fällen, wo Durchfälle, offene Wunden und Verwirrtheitszustände vorliegen. Dies sei zum Schutz der Patienten, aber auch gegenüber Mitpatienten „notwendig“. Das Wissenschaftsministerium hat gegen diese Praxis nichts einzuwenden.