Wirtschaftsverhör
: 1929 unerwartet nah

■ Heinz L. Poulev, Chef der Depot–Management–Beratung in Frankfurt, über die zweite Kurssturz–Welle

taz: Seit Donnerstag sind die Börsen wieder massiv im Abwärtstrend. Wieso? Heinz L. Poulev: Im Oktober ging eine fünfjährige Hausse zu Ende. Jetzt sind wir in einer Baisse, und nach den Daumenregeln soll so etwas zwischen einem und zwei Dritteln der fetten Jahre andauern, das hieße also ein bis zwei Jahre. Seit Donnerstag rollt nun die zweite große Welle der Abwärtsbewegung. Beeindruckend ist dabei wieder die Parallelität der Entwicklung an allen Weltbörsen mit Ausnahme von Japan. Was war denn diesmal der Auslöser? Nach dem Oktober–Crash wurde überall von einer Weltrezession gemunkelt. Mittlerweile haben sich aber die Erwartungen in dieser Richtung entdramatisiert, aber nur, um von einer anderen Sorge abgelöst zu werden, der Inflationsangst. Indikatoren hierfür sind die Erwartung höherer Zinsen und Rohstoffpreise. Von Gold bis Öl deutet sich da ja Bewegung an. Während der Crash im Oktober noch nicht unmittelbar zu einer Rezession geführt hat, sieht es jetzt so aus, als ob steigende Zinsen der Faktor sein werden, der die immer noch laufende Konjunktur endgültig abbremst. Im Augenblick fallen die Aktienkurse also nicht, weil die Aktien im Verhältnis zu den Zinsen völlig überbewertet sind, sondern weil aufgrund des noch guten Wirtschaftswachstums mit einem Ansteigen der Zinsen gerechnet wird. Wieso konnte sich Japan aus all dem ziemlich fein raushalten? Japan ist in jeder Hinsicht eine manipulierte Gesellschaft, wo in einer ganz außergewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Staat und Großkonzernen die Märkte länger unter Kontrolle zu halten sind. Aber ich glaube, daß das doch eine Seifenblase ist. Die Tokioter Börse hat mittlerweile fast wieder ihren Oktoberstand erreicht, und das heißt, die japanischen Aktien sind immer noch weit überbewertet, was geradezu nach einer Korrektur schreit. Die Weltbörsen haben bisher nur den Baisse–Trend wieder aufgenommen, aber wenn die Seifenblase Tokio platzt, sieht das viel dramatischer aus. Meine Prognosen für 1989 sind sehr negativ. Aber die Japaner haben doch gerade so einen guten Abschluß ihres Fiskaljahres gefeiert... ..und genau das war der Anlaß für den niedrigen Dollar. Bis zum Abschluß des Geschäftsjahres waren etwa die japanischen Lebensversicherer stark an einem Kurs des Dollar über 126 Yen interessiert. Denn nach einer Verordnung des Wirtschaftsministeriums mußten sie dann ihre Verluste aus US–Schatzanleihen nicht in ihren Bilanzen deklarieren - was sich auf dem Papier natürlich gut machte. Jetzt und auch unter dem Eindruck positiver Wirtschaftszahlen aus den USA haben sie massiv angefangen, Dollars zu verkaufen. Die Folge: Der Greenback kam von Tokio aus ins Rutschen. Warum hat dann die US–Zentralbank den Dollar nicht deutlicher gestützt? Naja, die FED ist da auch in der Klemme. Wenn sie den Dollar stärker stützt, fördert sie damit den sowieso schon einsetzenden Zinsanstieg am amerikanischen Markt. Und das ist nicht nur für die Wirtschaftsentwicklung lähmend, sondern würde auch eine ganz konkrete Katastrophe auslösen können: In Texas sind an die fünf Banken kurz vorm Zusammenbrechen, mit höheren Zinsen wäre deren Schicksal besiegelt. Und keiner könnte die Garantie übernehmen, daß daraus nicht eine Lawine wird. Die Wiederholung von 1929 droht eben immer noch. Interview:Georgia Tornow