Zwischen Fairneß und Parteiraison

■ Zur Halbzeit der amerikanischen Präsidentschafts–Vorwahlen stehen die Demokraten Dukakis und Jackson ziemlich gleich / Parteikonvent im Juli wahrscheinlich ohne klare Mehrheit für einen der beiden Kandidaten / Basteln an Lösungsmodellen / Wird Jackson abserviert?

Aus Washington Stefan Schaaf

Das Ergebnis der Vorwahlen im amerikanischen Bundesstaat Michigan am Samstag könnte für die Demokratische Partei explosive Konsequenzen haben. Die absolute Mehrheit Jesse Jacksons und das schwache Abschneiden von Michael Dukakis bringt den Favoriten ins Schleudern und beschwört für die Partei unangenehme Alternativen herauf. Denn falls sie dem Ergebnis der monatelangen Vorwahlprozedur Rechnung tragen will, müßte Jackson eigentlich als Präsidentschafts– oder Vizepräsidentschaftskandidat nominiert werden. Die Wahlen im November vergangenen Jahres hätten die Demokraten damit allerdings verloren, denn Jesse Jackson auf dem Stimmzettel treibt die Wähler ins Lager der Republikaner. Dies zumindest besagen Umfrageergebnisse aus der letzten Woche: Den Republikaner Bush könnte unter den Demokraten nur Mike Dukakis schlagen, Jackson würde von Reagans Vize mit 58 zu 34 Prozent hinweggefegt. Diese Umfrage und die just vor der Michigan–Wahl bekundete Unterstützung mehrerer Parteigrößen hatte das Selbstbewußtsein in der Dukakis–Truppe neue Höhen erklimmen lassen. Nicht nur der Gouverneur von New Jersey, Bill Bradley, selbst vor einigen Monaten noch Fast–Kandidat, sondern auch Detroits schwarzer Bürgermeister Coleman Young, schloß sich dem Dukakis–Troß an. Doch das ernüchternde Resultat in dem von der Automobilindustrie dominierten amerikanischen Bundesstaat strafte allen Optimismus Lügen. Dukakis erhielt nur 28, Jackson hingegen 55 Prozent der Stimmen und triumphierte in der Wahlnacht: „Michigan hat für jeden etwas: Dukakis erhielt die Unterstützung des Bürgermeisters von Detroit und ich erhielt die Stimmen der Bürger von Detroit!“ Ein offener Parteikonvent mit Jackson als Herausforderer von Dukakis ist nun noch wahrscheinlicher geworden als bisher. Zur Halbzeit der Vorwahl–Saison hat Spitzenreiter Dukakis erst etwas mehr als ein Viertel der zur Nominierung notwendigen Delegierten gewonnen, Jackson liegt nach seinem Erfolg in Michigan praktisch gleichauf. Drei weitere Bewerber sind nach wie vor im Rennen und schmälern dadurch die Chancen auf eindeutige Mehrheiten in den verbliebenen Vorwahl–Staaten. Die demokratische Partei steuert auf eine mächtige Kollision ihrer Flügel zu, wenn die 4.000 Delegierten im Juli in Atlanta zusammenkommen. Der Parteitag verspricht zum Spektakel zu werden, bei dem die Chancen der Demokraten auf einen Wahlsieg implodieren könnten, denn Chaos ist das letzte, wofür amerikanische WählerInnen sich begeistern. In der demokratischen Parteiführung werden zwar Lösungs–Modelle entwickelt, doch bisher haben diese Planspiele die Qualität heißer Kartoffeln; diskutiert werden sie nur hinter verschlossenen Türen. Jedenfalls ist so gut wie ausgeschlossen, daß mit der letzten Vorwahl Anfang Juni in Kalifornien einer der Kandidaten die erforderlichen 2.082 Delegierten hinter sich gebracht hat, Dukakis könnte mit Glück auf 1.500 kommen. Nicht alle Delegierten werden jedoch in Vorwahlen bestimmt, 646 Kongreßabgeordnete, Gouverneure und Parteifunktionäre werden direkt aus den Reihen der Partei nach Atlanta delegiert. Jackson fürchtet daher, daß er in dieser Schar von Partei–Apparatschiks schlecht abschneidet und fordert eine Form des imperativen Mandats für diese „Superdelegierten“. Sie sollten sich - zumindest moralisch - an das Vorwahlergebnis ihrer Heimatstaaten gebunden fühlen. Dukakis hingegen plädiert für Parteiraison und stößt damit sicherlich auf offene Ohren. Doch befürworten die meisten Superdelegierten, sich erst nach dem Abschluß der Vorwahlen hinter den Spitzenreiter zu stellen, um sich nicht dem Vorwurf der Manipulation auszusetzen. Und selbst mit einem großen Teil der Superdelegierten könnte es für Dukakis nicht zur Nominierung reichen. Eine einfache Lösung wäre, einem seiner Konkurrenten die Vi zepräsidentschaft anzubieten und so die Delegierten zweier Bewerber zu addieren. Dukakis und Senator Albert Gore wäre eine rechnerisch mögliche Lösung, die freilich Jesse Jackson völlig leer ausgehen läßt. Newsweek entwarf in der letzten Woche deswegen ein anderes Paar: Ein Deal zwischen Gore und Jackson, der allerdings nicht Jackson die Vizepräsidentschaft einbringt, sondern einem anderen prominenten schwarzen Politiker, zum Beispiel William Gray, dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Repräsentantenhaus. Viele Parteigrößen glauben, daß sich in den sechs Wochen bis zum Parteikonvent ein konsensfähiges Paar finden läßt. So auch New Yorks Gouverneur Mario Cuomo, der für manche immer noch als der Rettungsanker gilt, auf den die Partei in größter Not zurückgreifen würde. Wenn sich in Atlanta keine Mehrheit für einen der erklärten Bewerber fände, könnte Cuomo - oder Bill Bradley, oder Sam Nunn - theoretisch von seiner Partei „zwangsverpflichtet“ werden. Einen Tag nach seinem Erfolg in Michigan bekräftigte Jesse Jackson denn auch erneut, daß er „Fairneß“ von seinen Parteikollegen erwartet und davon ausgeht, der demokratische Präsidentschaftskandidat zu werden, sofern er die meisten Stimmen und die meisten Delegierten nach Atlanta mitbringt. Die Demokraten, so Jackson, täten gut daran, das Positive an seiner Kandidatur anzuerkennen. Er habe die Bevölkerung mobilisiert und der Partei neue Wählerschichten erschlossen. Ohne die neuen, meist schwarzen Wähler hätte die Partei 1986 nicht den Senat zurückgewonnen. Jim Hightower, ein prominenter Jackson–Unterstützer aus Texas, meint dazu: „Jackson hat die Dinge in Bewegung gebracht wie kein Demokrat seit Bobby Kennedy.“