Selbstflucht

■ Das grüne Schlingern um die Lafontaine–Thesen

Das Lamento der Grünen hat inzwischen Tradition: Die anderen Parteien klauen uns unsere Positionen und gehen damit dann auch noch in den Wahlkampf. Inwieweit ein solches Abkupfern überhaupt Grund zur Klage sein kann, wird dabei ausgeblendet. Wenn Politik für die Grünen etwas anderes sein sollte als der Kampf ums Überleben zum Selbstzweck, wenn die Inhalte im Vordergrund stehen sollen, dann könnte man diesem Plagiatismus auch etwas positives abgewinnen. Ob die SPD nun wahrhaftig Waldsterben und Wahnsinnsrüstung angehen will oder nur Bauernfängerei betreibt: Sollte für die Antwort darauf lediglich der Erfolg zählen, so sind es gerade die Grünen, die vor ihren Chancen, erfolgreich zu sein, davonlaufen. Ein einmaliger Vorgang ist es aber, wenn die Grünen nunmehr ihre eigenen programmatischen Plattformen fluchtartig verlassen, um sich von denen zwanghaft abzugrenzen, die Gastrecht auf diesen Plattformen einklagen. Der Verzicht auf vollen Lohnausgleich für die höheren Einkommen im Falle der Arbeitszeitverkürzung ist fester Programmpunkt der Grünen seit weiland Sindelfingen. Und wenn Oskar Lafontaine das gelesen und jetzt für gut befunden hat, so wäre dies für die Grünen Grund zu einem souveränen Schlag auf die Schulter des Ministerpräsidenten. Daß die Partei statt dessen einen panikartigen Beschluß faßt, der Verzicht auf umfassenden „vollen Lohnausgleich“ sei „verheerend“, zeigt, daß man immer noch meint, die Wähler eher mit taktischen Winkelzügen rüberzuholen als mit dem Kampf um inhaltliche Politik. Oder sollte man mit dem derzeitigen Stammwählerpotential zufrieden sein, das sich vor allem aus besserverdienenden Lehrern zusammensetzt? Ulli Kunkel