Kein Nachruf

■ Die AD–Häftlinge haben ihren Hungerstreik abgebrochen

In einem Land der großen Gesten war für die kleine kein Platz: „Ohne jedes Zugeständnis erlangt zu haben“, wie der französische Justizminister kalt klarstellte, hat die Action Directe ihren Hungerstreik abgebrochen. Nach 116 Tagen. Sie wollten ihre Anerkennung als politische Gefangene und die Aufhebung der Isolierung in Hochsicherheitstrakten. Jetzt kann sich Chirac gratulieren: Er behält sein Image als unnachgiebiger Politiker, ohne seinen Präsidentschafts–Wahlkampf unter dem Schatten von vier toten Gefangenen bestreiten zu müssen. Was war schwerer zu ertragen: das lange Leiden der Hungerstreikenden oder die Agonie der öffentlichen Meinung? Noch im Februar konnte der gaullistische Innenminister Pasqua von einer „Schlankheitskur“ der Action Directe sprechen, noch am Freitag konstatierte der Justizminister eine „Verbesserung“ ihres Gesundheitszustandes. Eine breitere Bewegung zur Verbesserung der Haftbedingungen (und dies nicht nur für die politischen Gefangenen) hat all dies nicht auslösen können: Die Intellektuellen, die ihre Stimme erhoben, blieben vereinzelt. In einem Land, das immer mehr im Wir–Gefühl eines republikanischen Konsenses schwelgt, waren die Mitglieder der Action Directe nicht nur in ihren Zellen isoliert. Es ist daher nicht ohne Tragik, wenn sie in ihrer Erklärung zum Abbruch ihre Hoffnungen auf eine „neue Phase der Bewußtmachung“ setzen. Ein Hungerstreik als letzte Waffe hat nur solange Aussicht auf Erfolg, wie er nicht in einem Meer der Indifferenz untergeht. Deswegen war es eine richtige Entscheidung, ihn abzubrechen. Nichts ist ungewisser, als daß sich nach der Wahl des neuen Präsidenten etwas an den Bedingungen in Frankreichs Gefängnissen ändern wird. Klar ist nur: Es ist gut, daß an dieser Stelle kein Nachruf zu stehen braucht. Alexander Smoltczyk